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Schau, die Welt gehört auch dir!

Glej, ta svet jet tudi zate!

 

Interview von Markus Gönitzer mit Helena Verdel, Publizistin und Co-Autorin des Buches Glej, ta svet je tudi zate! Ženske in AFŽ/ ZSŽ na Koroškem - Schau, die Welt gehört auch dir! Die Frauen der Antifaschistischen Frauenfront und des Verbands slowenischer Frauen in Kärnten.

 

Markus Gönitzer: Liebe Helena, euer Buch über die slowenische Frauenbewegung in Kärnten/Koroška liegt bis jetzt nur in slowenischer Sprache vor, deswegen sind wir dir sehr dankbar, dass du uns nicht Slowenisch sprechenden Interessierten etwas über seine Inhalte und seinen Kontext erzählst.

 

Helena Verdel: Sehr gerne!

 

MG: Wie kam es zu eurer neuen Publikation und was macht deren politische Relevanz für die Gegenwart aus?

 

HV: Der Verband der slowenischen Frauen / Zveza slovenskih žena (ZSŽ Nachfolgeorganisation der AFŽ - Antifaschistische Frauenfront) hat uns gebeten, ihre Geschichte in Form einer Publikation aufzuarbeiten. Der zweite Grund war der 80. Geburtstag der langjährigen Vorsitzenden Milka Kokot und natürlich auch der anstehende 80. Gründungstag der AFŽ. Vida Obid und ich haben bereits ein Vorgängerprojekt realisiert, das sich der ebenfalls langjährigen Vorsitzenden Milena Gröblacher widmete. In diesem Werk haben wir anhand ihrer Biografie das Leben von Sloweninnen in Kärnten porträtiert und damit auch das Leben von Frauen im Widerstand. Das war zu diesem Zeitpunkt noch eine große Leerstelle. Die meisten Widerstandsgeschichten stammen von Männern. Der Fakt, dass Frauen überhaupt erst die Grundlage für den Widerstand geschaffen haben, trat in den letzten Jahrzehnten etwas in den Hintergrund. Gleich nach Kriegsende war das Bewusstsein dafür interessanter Weise größer. 1945 wurden durchaus auch im Slovenki vestnik (slowenische Zeitung in Kärnten) immer wieder Biografien und Geschichten von Widerstandskämpferinnen abgedruckt, in den folgenden Jahren ist das Interesse daran aber verschwunden. Darauf wollten wir mit der Biografie von Milena Gröblacher reagieren. Es ist in diesem Zusammenhang auch bereits ein Buch von Andrej Leben über die Gründung und Entstehungsgeschichte der AFŽ erschienen, was jedoch fehlte, war ein Buch über die letzten Jahrzehnte der slowenischen Frauenbewegung. 

 

Zu Beginn des Projektes standen wir dem Vorhaben etwas skeptisch gegenüber, weil es so wenige Quellen zur Thematik gibt. Ein Problem, dass der „Geschichte von Unten“ immer wieder begegnet. Wer keine Dokumentation vorweisen kann, ist verurteilt geschichtslos zu sein. In diesem Fall gab es wenig Material, weil es in der Organisation selbst kein allzu großes Bewusstsein im Hinblick auf die Relevanz von Dokumentation und Archivierung gab. Die tägliche Praxis stand im Vordergrund. Auch der Spruch „Dreimal umgezogen, einmal abgebrannt“ trifft leider auf die Organisationen der slowenischen Frauen zu. Bei vielen dieser Umzüge gingen relevante Quellen verloren und 1996 kam es zu einem Einbruch, im Zuge dessen der Täter einen Brand gelegt hat. Damals sind weitere Archivmaterialien zerstört worden und somit verloren gegangen. So standen wir vor einer gewissen Herausforderung. Eine große Hilfe war, dass der Slovenski vestnik, der die ZSŽ immer begleitet hat, vor allem die Feiern zum 8. März. Das Erstarken von Geschlechterfragen in der Nachkriegszeit hat sich in dieser Zeitung niedergeschlagen.

 

MG: Das Buch ist erfreulicherweise also doch entstanden und trägt einen sehr schönen Titel. Kannst du uns etwas über die Hintergrundgeschichte des Buchtitels erzählen?

 

HV: Wir hatten uns zunächst auf einen Titel geeinigt, der es dann aber doch nicht geworden ist. Was blieb war nur eine Zwischenüberschrift. Übersetzt bedeutete dieser Titelvorschlag: „Wir werden uns nicht bemitleiden“. Wir waren damit aber nicht ganz zufrieden. Es war kein leichtes Unterfangen, etwas zu finden, das die Widerstandsgeschichte der AFŽ genauso beschreibt wie die gegenwärtigen Bemühungen der ZSŽ. Wir hatten uns schon damit abgefunden, dass wir keinen guten Titel finden würden, aber Vida hat das wirklich den Schlaf geraubt. In einer dieser schlaflosen Nächte fiel ihr ein, dass zwei mit uns befreundete Schwestern (Velik Schwestern) aus dem Partisanenverband vor Jahrzehnten ein Gedicht des sehr jung verstorbenen, slowenischen Partisanendichters Karel Destovnik-Kajuh vertont haben. Es ist ein Gedicht von Kajuh an seine Mutter (Kajuh - Kje si, mati). Er schreibt darin sinngemäß, dass er sie wohl nie wieder sehen wird und dass er auch nicht weiß, wo sie ist, ihr aber, ganz egal wo sie sein sollte, mitteilen wollte: Glej, ta svet je tudi zate! Schau, die Welt gehört auch dir! Und ich finde, das passt wunderbar. Es beschreibt einen aktiven Zugang zum eigenen Leben. In einer Zeit, in der große Armut vorherrschte, auch aus der Perspektive der Kärntner Slowen:innen zu sagen: Schau, die Welt gehört auch dir! Du hast ein Recht darauf! Du hast ein Recht auf Erholung und Freude! Du hast ein Recht auf Bildung! Das entspricht absolut der Absicht dieses Buches und den Bemühungen der Organisationen, über die wir geschrieben haben. Ein wirklich schöner Titel aus einem wirklich schönen Gedicht.

 

MG: Wie eingangs erwähnt, feierte die AFŽ in Kärnten/Koroška 2023 ihren 80. Geburtstag. Könntest du uns einen kurzen Überblick über die Geschichte und Bedeutung der Organisation geben?

 

 

HV: Also, die Forschung dazu leistete Vida Obid. Die AFŽ wurde 1943 in der Gegend rund um Bad Eisenkappel/Železna Kapla gegründet. Ziel war es, Frauen im und für den Widerstand zu ermächtigen und zu bilden. Viele der Familien, aus denen Aktivistinnen rekrutiert wurden, hatten kaum Zugang zu Bildung, auch wenn der Bildungswunsch sehr stark war. Die Hauptlast des Partisan:innenwiderstands lag auch den Rücken der Frauen und älteren Männer. Die jüngeren Männer waren auf der einen oder anderen Seite im Krieg. Also galt es, die an den Höfen gebliebenen Frauen zu organisieren und zu bilden. Wie man sich im illegalen Widerstand verhält, weiß man nicht von Haus aus. Das muss ge- und erlernt werden. Nach dem Krieg wurde dann versucht, diese Frauen zu animieren, ihre Geschichten aufzuschreiben. Diese hatten aber kaum Selbstbewusstsein. Was die landwirtschaftliche Arbeit betrifft schon, aber nicht was das Sprechen und Schreiben über das eigene Leben betrifft. Diese Rolle war rein männlich besetzt. Daher war die AFŽ eine wichtige politische Organisation, in der Frauen gezielt angesprochen wurden, in der ihren Erfahrungen große Bedeutung zugesprochen wurde und in der ihre Leistungen gewürdigt wurden.  

 

 

MG: Diese Ermächtigung von Frauen war also Teil des politischen Programms der Partisan:innennbewegung?

 

HV: Durchaus. Man wollte Frauen mobilisieren und ihnen Selbstbewusstsein geben. Auch in den im Buch abgebildeten Biografien kommt das zum Ausdruck. Es ist unglaublich interessant, welche Hoffnungen es nach 1945 gab. Man muss sich vorstellen, dass die Partisan:innen den Krieg gewonnen haben und in Kärnten dann wie Verlierer:innen behandelt wurden. Das war schwer zu ertragen und eine große Enttäuschung. Aber die Erfahrung, an der Niederringung des NS beteiligt gewesen zu sein, hatte auf die widerständigen Frauen dennoch eine große Auswirkung. Bei einzelnen drückte sich dieses neue Selbstbewusstsein auch darin aus, dass sie öffentlich sprachen und Reden hielten.

 

MG: Welche Entwicklungen prägten die linke Kärntner slowenische Frauenbewegung dann in der Nachkriegszeit? Du hast auch bereits angedeutet, dass es Rückschritte im Diskurs gab und auch partisanische Erinnerungskultur wieder stärker von einem männlichen Heldenepos geprägt war, oder?

 

HV: Viele Kärntner Slowen:innen haben sich für den Anschluss an Jugoslawien eingesetzt. Das ist eine Tatsache. Als klar wurde, dass daraus nichts wird, und ebenso klar wurde, dass die Republik Österreich ihre Versprechen gegenüber der Minderheit nicht einhalten wird, hat sich eine bleierne Schwere über alles und viele Akteur:innen gelegt. Man hat zwar weitergekämpft, für zweisprachige Schulen zum Beispiel, aber die Offenheit und die Breite der Themen als auch die Interventionen der Frauen sind etwas zurückgegangen. Gewisse Routinen konnte aber auch die ZSŽ immer aufrechterhalten, zum Beispiel die angesprochene Feier zum 8. März. Dieser wurde konsequent immer als Kampftag der Frauen gesehen, auch als Kampftag der Sloweninnen. Egal ob es gerade in Mode war oder nicht, am Kampftag wurde unbeirrt festgehalten und alle Frauen, egal ob katholisch oder links, wurden eingeladen. Nach dem Krieg gab es die Entwicklung, dass Frauen, die während des Krieges nicht geschlechterkonforme Rollen übernommen haben, wieder Schritt für Schritt in ein klassisches Rollenbild zurückgedrängt wurden. Das ist auch mit den slowenischen Frauen passiert. Überarbeitung, Mehrfachbelastung und die Anstrengungen, die mit den schlechten öffentlichen Infrastrukturen (Mobilität etc.) einhergingen, wirkten sich auf die Energie der Frauen im Kampf um ihren Platz in der Öffentlichkeit aus. Die eingeschränkte Mobilität war vor allem auch für die Frauen im strukturschwachen Kärnten/Koroška ein großes Thema. Als Ergebnis wurde sich dann vermehrt wieder auf das Machbare konzentriert.

 

Im Falle der Kärntner slowenischen Frauen wurde aber auch über den eigenen Tellerrand geblickt. In diesem Fall nach Jugoslawien, um herauszufinden, was denn für Frauen noch möglich wäre. Wir dürfen nicht vergessen, dass Österreich sich zwar brüstet, eine Demokratie zu sein, doch bis in die 70er-Jahre wurden verheiratete Frauen rechtlich behandelt wie kleine Kinder. Wahlrecht schön und gut, aber de facto konnten Frauen über ihr Leben kaum entscheiden. Es gab viele Abhängigkeiten. In Jugoslawien war zu dieser Zeit schon vieles anders. Der Staat, der sich demokratisch nannte (Österreich), hat seine Frauen um ihre Rechte betrogen und der Staat, dem man die Demokratie absprach (Jugoslawien), hatte sehr wohl ein fortschrittliches Familienrecht und betonte die Rolle beider Eltern in der Erziehung – sowohl gesetzlich als auch in den Zeitungen. Der Slovenski Vestnik in Kärnten/Koroška hat damals eine Rubrik veröffentlicht, die hieß sehr traditionell: „Fürs Heim und für die Hausfrau“. Interessant dabei war aber, dass die Artikel, die Erziehung zum Thema hatten, sich an beide Elternteile richteten und häufig nicht von Kärntner slowenischen Frauen geschrieben, sondern aus jugoslawischen Kontexten übernommen wurden. In vielen dieser Artikel ist eine gänzlich andere Ideologie vertreten als in den sehr katholischen Rollenbildern, in denen die Mutter für alle Sorgetätigkeiten zuständig ist. In den 80er-Jahren haben diese Ambitionen im Zuge der Gründung der antifaschistischen Komitees einen neuen Aufschwung erhalten. Allgemein gründeten sich in dieser Zeit sehr viele zivilgesellschaftliche Initiativen. In diesen österreichweiten Bündnissen wurden auch erstmals die slowenischen Frauen prominent mitgedacht. Wie im Buch angeführt, hat es ein Netzwerktreffen der Antifaschistischen Komitees Österreichs gegeben, zu dem Melina Gröblacher und Terezija Prušnik-Mira eingeladen wurden, die aus der Zeit der Partisan:innen erzählt haben. Kärntner slowenische Frauen wurden quasi erstmals als Expert:innen eingeladen und sie haben sich dieser Herausforderung auch gestellt. Trotz der Tatsache, dass es sich dabei um eine Generation handelte, die hauptsächlich Slowenisch sprach sowie keine formale Schulbildung genossen hatte und dadurch großen Respekt vor dem Sprechen in der Öffentlichkeit hatte, haben sich die Frauen diesen Situationen gestellt, und das, finde ich, war unglaublich mutig. Die Frauenkonferenzen der damaligen Frauenministerin Johanna Dohnal spielten eine wichtige Rolle. Die Kärntner slowenischen Frauen waren dazu mit einer in Österreich davor noch nicht dagewesenen Selbstverständlichkeit eingeladen. Das gab ihnen Legitimität und gesellschaftliche Relevanz.

 
M: Zusammenfassend könnte man also behaupten, dass die AFŽ und ihre Folgeorganisationen in Kärnten/Koroška einige der erwähnten jugoslawischen Emanzipationsdiskurse in die Kärntner slowenische Volksgruppe übersetzt und vermittelt haben?

H: Durchaus. Zum Beispiel betreffend die Frage der Kindergärten. Immer mehr Frauen wollten auch erwerbstätig werden. Der Kärntner slowenische Frauenverband hat sehr früh darauf gedrängt, dass es zweisprachige Kindergärten gibt. Auch einsprachige Kindergärten waren in den 70ern Mangelware, vor allem in Kärnten. Kärntner slowenische Frauen haben also das Recht auf Kinderbetreuung und auch auf sprachliche Berücksichtigung gefordert. Es wurden zu dieser Zeit viele Exkursionen aus Kärnten nach Jugoslawien organisiert, im Zuge derer auch Betriebskindergärten besucht wurden. Dort wurde überhaupt erst die Idee aufgeschnappt, dass eine bessere öffentliche Versorgung von Kindern möglich ist und dass Kindergärten nicht sofort den Zerfall von Familien einläuten. Ein Diskurs, der in Österreich lange Zeit intensiv von konservativen Kräften geschürt wurde.

 

M: Welche Zukunft siehst du jetzt für die Nachfolgeorganisation der AFŽ, also des Verbands slowenischer Frauen in Kärnten/Koroška? Was könnte ihre Rolle sein?

 

HV: Einerseits muss erwähnt werden, dass es dem ZSŽ im Vergleich zu manchen anderen Kärntner slowenischen Organisationen relativ gut gelungen ist, sich selbst zu verjüngen. Das finde ich schön. Viele aus der aktuellen Leitung sind um die 30 bis 40 Jahre alt. Das ist wichtig, weil die jüngere Generation diejenige ist, die Akzente für die Zukunft setzen kann. Im erweiterten Ausschuss der Organisation sind aber sehr wohl noch viele ältere Mitstreiterinnen tätig und das ist auch gut. Manche Traditionen halten sich nach wie vor in der Praxis, wie zum Beispiel das Feiern des 8. März, was ich sehr wichtig finde. Fälschlicherweise denkt man manchmal, erkämpfte Rechte können uns nicht mehr weggenommen werden. Da werden wir leider gerade eines Besseren belehrt. Arbeitsrechte werden momentan wieder abgebaut und auch Frauenrechte werden angegriffen. Es ist beispielsweise gruselig, welche Diskurse momentan wieder in Hinblick auf das Recht auf Abtreibung kursieren. Wer weiß, was da noch kommt. Um sich dem entgegenzustellen, braucht es Organisationen wie die ZSŽ, die sagen: So nicht!

 

 

Das Gespräch führten Helena Verdel und Markus Gönitzer im März 2023 in Klagenfurt/Celovec.

Helena Verdel

ist eine österreichisch-slowenische Politik- und Theaterwissenschaftlerin. Sie publizierte zahlreiche Werke zur österreichischen und europäischen Zeitgeschichte, insbesondere zu feministischen Themen. Sie ist Co-Kuratorin der Ausstellung Žensko ime odpora / Der weibliche Name des Widerstands, Vorstandsmitglied des Verbands der Kärntner Partisanen / Zveza koroških partizanov und Mitherausgeberin von Spurensuche. Erzählte Geschichte der Kärntner Slowenen

 

Markus Gönitzer

 

ist Kulturarbeiter und Teil der Vorstandskollektive des Forum Stadtpark, WerkStattMuseum in Klagenfurt/Celovec und dem Museum Peršmanhof.

 

Das Interview ist Teil des diskursiven Projektes partizan*ke diskurz.