Seit März 2022 gibt es ein neues und einmaliges feministisches Zeitschriftenprojekt in Sarajevo: www.feministika.ba. Das Redaktionsteam – bestehend aus Andreja Dugandžić, Boriša Mraović und Danijela Dugandžić – antwortete Elena Messner auf Fragen nach der Gründung, der Positionierung und Motivation für solch ein Projekt. (Onlinegang des Gesprächs: 31.07.2023)
Wie, wann und warum wurde das Online-Magazin feministika.ba gegründet? Durch welche Projekte, Menschen oder Ideen ist es inspiriert?
Das Team des Kollektivs CRVENA entwickelte die Programmidee Feministika.ba. Durch verschiedene Aktivitäten, von Wissensproduktion bis hin zur praktischen Anwendung durch feministische Workshops und öffentliche Kampagnen bzw. Kunstinterventionen, zielen wir darauf ab, feministische Themen im systematischen Zusammenhang zu analysieren, zu kritisieren und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Produktionsbedingungen, Arbeitsorganisation, Veränderungen und Dynamiken der Umwelt sowie auf die Herausforderungen, die diese für Frauen und damit für Gesellschaften darstellen, zu lenken. Das Magazin Feministika.ba selbst wird von der Idee angetrieben, unterschiedliche Ansichten und Analysen zu allen wichtigen feministischen Themen an einem Ort zu sammeln und darüber in einem Kontext nachzudenken, in dem nur sehr wenig Raum für Diskussion und Transformation bleibt. So möchten wir eine größere politische Solidarität fördern und aufbauen, nicht nur innerhalb der feministischen Bewegung, sondern auch mit anderen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit. Das Programm wurde im März 2022 offiziell gestartet. Feministika.ba vereint eine Vielzahl von Autorinnen, die nicht nur durch Texte auf dem Portal selbst, sondern auch mittels verschiedener künstlerischer Produktionen, Gespräche und ständiger Zusammenkünfte beigetragen haben.
Was war Ihr persönlicher Beweggrund, dieses Online-Projekt zu starten und zu unterstützen?
Die Arbeit bei CRVENA ist immer motivierend und bringt ständig Neuerungen mit sich. Das Fehlen einer ähnlichen lokalen Plattform, die kollektive intellektuelle und künstlerische Arbeit und Austausch fördert und ermöglicht, aber auch die große Notwendigkeit, das gesellschaftliche und politische Leben durch ein feministisches Prisma zu verhandeln, ist unsere grundlegende Motivation. Mit Feministika.ba wollen wir die weibliche Perspektive hervorheben, gesellschaftliche Debatten zu Themen anstoßen, die eine politische und pädagogische Wirkung auf Frauen und Gesellschaft haben.
Wie gehen Sie denn mit unterschiedlichen lokalen, globalen, theoretischen und praktischen Konzepten des Feminismus um? Gibt es eine besondere Bezugnahme zur jugoslawischen, genauer – zur sozialistischen Geschichte des Feminismus? Welchen Bezug haben Sie zum Beispiel zu intellektuellen und politischen Projekten wie die AFŽ, die sog. „Antifaschistische Front der Frauen“ (Orig.: Antifašistički front žena“/Antifašistična fronta žensk)?
Wir versuchen diese verschiedenen Konzepte in Einklang zu bringen, zu verbinden, immer wieder zu hinterfragen und in die intellektuelle, pädagogische und praktische Arbeit zu integrieren. Wir arbeiten in einem sehr spezifischen Kontext, daher ist auch unser Ansatz spezifisch. Die Haltung gegenüber der Vergangenheit ist forschend und kritisch, sie hilft uns, heute klarere Positionen einzunehmen. Von unserer Gründung an bis heute haben wir enorme Forschungs- und künstlerische Kapazitäten darauf verwendet, die kollektive Beteiligung von Frauen am Kampf gegen den Faschismus zu betrachten, an dem die AFŽ einen großen Anteil hatte. Im Zusammenhang mit dem Betrieb und der Entwicklung der Organisation haben wir umfangreiches Material gesammelt, digitalisiert und zugleich durch multidisziplinäre Ansätze aus feministischer, historischer, kritischer und künstlerischer Perspektive untersucht. Auf der digitalen Datenbank und dem Online-Archiv www.afzarhiv.org, das wir seit Jahren entwickeln, finden Sie heute das digitalisierte Archiv von AFŽ, das Tausende von Dokumenten, Briefen, Zeitschriften, Büchern und anderem Archivmaterial enthält. Im Rahmen dieser Arbeit haben wir auch die Sammlung „Lost Revolution: AFŽ zwischen Mythos und Vergessenheit“ veröffentlicht, auf die wir besonders stolz sind. Im Historischen Museum von Bosnien und Herzegowina haben wir die Dauerausstellung „Polet žena“ (CRVENA) produziert, die aus zahlreichen AFŽ-Artefakten aus den Beständen des Museums, Archivdokumenten, Fotografien, Büchern, Zeitschriften, Plakaten und dreidimensionalen Objekten besteht. Mit diesem archivarisch-konservatorischen und kuratorischen Unterfangen wollten wir erstmals an einem Ort und in Form einer Dauerausstellung Fragmente dieser immer wieder unterdrückten antifaschistischen Frauengeschichte ausstellen.
Inwiefern würden Sie Ihr Projekt als (post-)jugoslawisch oder supra-national bezeichnen?
Obwohl es nicht unsere direkte Absicht ist, ist das feministische Magazin zwangsläufig postjugoslawisch, und ansonsten ist alles, was nach den ersten Jahren des letzten Jahrzehnts des letzten Jahrhunderts in unserer Region geschah, postjugoslawisch :)
Mir scheint, der Kunstaspekt ist bei diesem feministischen Online-Projekt genauso wichtig wie die intellektuelle, theoretische Auseinandersetzung?
Das ist wahr. CRVENA entstand durch die gemeinsame Arbeit von Frauen, Künstler*innen, Kurator*innen, Dichter*innen und Freund*innen, die gemeinsam an die transformative Kraft der Kunst glauben. Wir leben ständig in der Beziehung zwischen Feminismus, Kunst und Politik, daher ist der künstlerische Aspekt für unsere Arbeit ganz natürlich.
Wie ist Ihre Redaktionspolitik – wie entstehen Dossiers, Schwerpunkte, wie werden Autor*innen eingeladen?
CRVENA war schon immer von Teamarbeit geprägt. Dabei handelt es sich um tägliche Treffen und Gespräche, bei denen Ideen und Themen entstehen und wir gemeinsam über mögliche Autor*innen nachdenken. Unser soziales Kapital ist groß und wächst ständig. Viele der Autor*innen, die bisher für Feministika.ba geschrieben und geschaffen haben, sind unsere Kameradinnen und Freundinnen.
Wie waren die Reaktionen auf dieses Portal in Bosnien, Serbien, Kroatien?
Größtenteils positiv. Es geht langsam voran, weil es sich bei dem Meer von Websites und Medien bei gleichzeitiger Dominanz von Plattformen um etwas handelt, das nicht einmal mehr als Information, sondern vielleicht nur noch als Signalüberwachung bezeichnet werden kann. Es stellt sich als große Frustration heraus, ständig Followern nachzujagen und den Algorithmus zu zerstören. Die Zahl der Autorinnen und Texte auf Feministika.ba wächst, wir arbeiten immer an etwas Neuem. In letzter Zeit kontaktieren uns häufiger Leute, die für uns schreiben möchten, die Dinge entwickeln sich also nach Plan.