Sie sind in Kroatien geboren, leben heute in Serbien. Inwiefern beeinflusst dieser Aspekt ihres Lebens Ihre Arbeit?
Ich wurde eigentlich im ehemaligen Jugoslawien geboren, im heutigen Kroatien. Ich bin jung, aber nicht jung genug um mich nicht an unser ehemaliges Land zu erinnern und ich denke, dass wir alle in gewisser Weise noch immer denselben kulturellen Raum teilen. Es macht keinen so großen Unterschied in Zagreb oder in Belgrad zu leben. Ich nehme aber an, dass Sie darüber sprechen wollen, wie heute eine kulturelle Zusammenarbeit im westlichen Balkan aussieht. Natürlich, wie ich sagte, es gibt auch heute noch einen gemeinsamen kulturellen Raum, wir hatten in den 90er Jahren während der Kriege einen brutalen Einbruch, aber unsere Generation formiert das Gemeinsame neu. Ich habe Kontakte mit Menschen in Zagreb, in Rijeka, in Split, wir haben jetzt wieder lebhafte kulturelle Beziehungen. Sie sind natürlich nicht so stark, wie sie während der jugoslawischen Ära waren. Aber wir versuchen Wege zu finden, miteinander zu kommunizieren. Und es ist eine interessante Sache, dass ich viele Erzähler in Zagreb kenne, die Geschichten über die gleichen Dinge wie wir in Serbien schreiben. Denn wir haben einfach viele ähnliche Geschichten zu erzählen. Andererseits trägt das Land, in dem ich lebe, Serbien, die größte Verantwortung an den Jugoslawienkriegen. Wir haben unsere eigene Weise, die Geschichte über die Kriegsverbrechen zu verarbeiten, denn wenn man die größte Verantwortung trägt, hat man einen langen Weg zu gehen... Die Frage der Verantwortung stellt sich für serbische Künstler oder Autoren mehr als zum Beispiel für jene in Kroatien. Ich denke, dass das heute der einzige große Unterschied zwischen unseren kulturellen Räumen ist.
Sie schreiben auch für eine literaturkritische Plattform. Haben Sie ein ungefähres Bild von Ihrer Leserschaft?
Ja. Da es ein Internetportal ist, können wir Analysen über unsere Leser und Leserinnen anstellen, und wir entdeckten rasch etwas sehr Interessantes, nämlich, dass die meisten Menschen, die dieses Internetmagazin lesen, aus Serbien sind, aber ein großer Anteil auch aus Kroatien und aus allen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens kommt. Aus diesem Grund glaube ich auch, dass wir in gewisser Weise weiter denselben kulturellen Raum teilen. Unser Internetportal kann von Menschen aus verschiedenen Orten verstanden werden und hat eine Bedeutung für sie. Dass es eine Internetseite ist, ist der beste Weg sich sozusagen wieder mit dem gesamten Raum des ehemaligem Jugoslawien zu verbinden, weil man ja von überall darauf zugreifen kann; hier ist gerade das Internet so wichtig, weil es quasi entnationalisiert ist. Als größere Plattformen aus all diesen Regionen damit begonnen haben, online zu gehen, hat unsere Verbindung und die kulturelle Kommunikation manchmal erst begonnen und sich seither sehr verbessert.
Können junge Autoren in Serbien leicht Fuß fassen?
Wenn man als junger Autor oder junge Autorin einfach nur Prosa oder Lyrik schreiben möchte, ist das in vielen Balkanstaaten unmöglich, man muss immer etwas anderes für seinen Lebensunterhalt tun. Ich arbeite als Journalist für eine Belgrader Wochenzeitschrift, Vreme, und das ist in Ordnung, denn wenn man eine unabhängige Zeitschrift findet, kann man schreiben, was man will. Es hängt immer davon ab, wie man sich persönlich und beruflich positioniert hat, je selbstständiger oder unabhängiger man ist, umso erfolgreicher kann man als Autor sein.
Es ist nicht so, dass es etwa Zensur in Serbien gibt, sondern es hängt davon ab, für wen und wie man arbeitet, da spielen viel mehr Strukturen eine große Rolle, und nicht Verbote, Verfolgung etc. Wenn man zum Beispiel in manchen Strukturen drinsteckt, dann ist es manchmal schwieriger noch seine inhaltlichen Sachen unterzubringen. Warum ich über all dies spreche: es gibt einen großen Konflikt in der serbische Literaturszene. Besonders, weil wir uns noch in der Nachkriegszeit befinden, gibt es Konflikte zwischen der jüngeren und der älteren Generation. Unter den Autoren der älteren Generation waren einige sehr einflussreiche Schriftsteller unter Milošević. Sie sind heute teilweise noch immer in der Szene präsent und haben immer noch gewissen Einfluss, der bekannteste ist Dobrica Ćosić. Wenn man in Serbien in einer Situation ist, wo man total unabhängig von solchen Strukturen ist, in denen diese Leute Einfluss haben, kann man aber alles schreiben, man kann viele gute Verlage finden, man kann aussprechen und publizieren, was man will. Aber im Hinblick auf den Buchmarkt ist es heutzutage in Serbien unmöglich nur vom Schreiben von Büchern oder Geschichten zu leben.
Aber die Literaturszene ist für junge Talente offen?
In gewisser Weise ja, weil wir unsere eigene Literaturszene gestaltet haben. Während der Milošević-Ära gab es nationalistische Schriftsteller, die offen für das Regime eintraten. Sie machten sich in gewisser Weise mitschuldig an den Kriegen, sie dominierten auch die Schriftstellervereinigung. Während der 90er Jahre aber versuchte eine andere Generation ihren Weg zu finden, um unabhängige Institutionen für Autoren und Autorinnen zu gründen. Heute gibt es zum Beispiel viele Schriftstellerorganisationen in Serbien, die sich Konkurrenz machen, und heutzutage sind solche Organisationen auch nicht mehr so wichtig. Nach zehn Jahren hat sich eine unabhängige, aktive, junge Szene zu einer neuen Avantgarde entwickelt, zu der viele jüngere Schriftsteller wie etwa Srđan V. Tešin gehören.
Ihre Kurzgeschichte „Born in the Danube“ spielt auf den Songtext „Born in the USA“ von Bruce Springsteen an und handelt von der Kriegs- bzw. Nachkriegszeit Serbiens und Kroatiens. Wie haben Sie persönlich diese schwierige Zeit erlebt?
Ich denke, dass jeder in Europa in gewisser Weise diese Kriege erlebt hat. Ich treffe auf Reisen immer wieder Menschen die sich daran erinnern, dass das Ganze nur 20 Jahre her ist. Ich persönlich war nicht in diesem Krieg, ich war kein Soldat, dafür war ich zu jung, aber viele meiner Cousins waren im Krieg. Dabei liegt das Komplizierte hierin: Ein Großteil der Bevölkerung aus der Republik Serbien hat eigentlich nicht am Krieg teilgenommen oder den Krieg selbst erlebt, da der Krieg in Bosnien oder Kroatien stattfand, also nicht in Serbien. Serbien hatte aber seine Seite in dem Krieg und unterstützte z.B. lokale Serben in den Kampfregionen, die ihre eigenen Truppen hatten. Es gibt so etwas wie ein paradoxales Nicht-Erleben des Krieges auf serbischer Seite, Serben aus dem Kernland haben nicht unbedingt am Bosnienkrieg teilgenommen, er wurde aber in ihrem Namen geführt. Das Problem in Serbien ist, dass es sich moralisch schuldig machte, Waffen lieferte und wie in meiner Geschichte erzählt, heimlich mobilisierte, aber offiziell nie im Krieg war.
Dann gibt es 1999 den drei Monate andauernden Krieg mit der NATO, das Bombardement Serbiens, da gab es erstmals Kampfhandlungen in Serbien. Ich arbeitete zu der Zeit als sie unsere Städte bombardierten in Belgrad. Aber das war im Verhältnis nicht so schrecklich, ich zum Beispiel genoss diese Zeit, weil ich aufs Land fuhr, auf der Flucht vor den Bomben. Wer ins Militär eingezogen wurde, hatte in der ganzen Kriegszeit natürlich ein Problem. Der Held in meiner Geschichte ist einer von denen, die mobilisiert wurden. Ich habe bei Recherchen für Reportagen für die Wochenzeitung Vreme mit vielen solchen gesprochen. Es gab tatsächlich viele Menschen, die etwa aus den ruhigen Dörfern in der Vojvodina, wo ich recherchierte, mehr oder weniger über Nacht in den Krieg geschickt wurden. Viele von ihnen haben eigentlich nicht gekämpft, die Regierung hielt sie eher als eine Art Reserve dort. Und deshalb habe ich in meiner Geschichte Kriegsverbrecher und brutale Kampftruppen herausgenommen. Meine Geschichte erzählt von einem Menschen, der eine Zeit lang an die Front zwangsrekrutiert wird und dessen ganzes Leben sich dadurch verändert, das ist ein elementares Detail seiner Biografie.
Wie würden Sie die Bedeutung der Donau in Ihrer Geschichte erklären?
Es gibt einen Satz in der Geschichte, in dem ich sage "Der Fluss ist derselbe, aber die Menschen sind nicht gleich". Und ich denke, das kann man über jeden Abschnitt der Donau sagen. Der Satz gilt für Wien und Österreich so gut wie für Belgrad und Serbien. Ich persönlich glaube, dass die Donau von großer Wichtigkeit für uns alle ist, die wir an diesem Fluss leben, denn in der Geschichte war die Donau oft eine Grenze, nicht zuletzt auch in den Jugoslawienkriege wieder - die Grenze zwischen Serbien und Kroatien.
Meine Geschichte handelt von dieser Grenze. An der Donau liegen einige wenige Großstädte, aber gleichzeitig eine viel größere Anzahl von Dörfern in jedem Land. Und viele Menschen aus den Dörfern leben in der selben Weise, überall an der Donau, und sie haben ein ganz anderes Leben als die Menschen in den Städten. Eigentlich ist das Leben dieser Menschen, die entlang der Donau leben, obwohl sie in verschiedenen Ländern leben, ähnlicher, als das Leben der Menschen in den Städten, die jeweils sehr eigene urbane Räume produzieren. Meistens meint man, wenn man von der Donau spricht, die großen Hauptstädte, die am Fluss liegen, etwa Wien, Bratislava, Budapest oder Belgrad. All diese Städte sind verschieden und haben ihre eigene Stadtkultur. Aber es gibt eine weitere Hauptstadt an der Donau, und das sind all die Menschen, die an den Ufern leben, und ich denke, dass sie alle der gleichen Kultur angehören, einer danubische Kultur, die einerseits industriell aber auch pastoral ist.
In ihrer Geschichte fiel uns vor allem der Optimismus des Satzes „Es wird alles gut.“ auf. Dieses „Es wird alles gut.“ angesichts der vielen Probleme und Schwierigkeiten - ist das die Einstellung von vielen Menschen die Sie kennen?
Für meinen Helden ist der Satz zentral, denn als ich ihm diese Worte in den Mund legte, versuchte ich dem Leser zu erklären, dass dieser Mann nicht an politischen oder sozialen Themen interessiert ist, er ist gewissermaßen ein naiver Charakter. Er glaubt, dass am Ende alles gut wird, aber wenn man sich den Kontext der Geschichte ansieht, kann man sehen, dass ein Krieg naht, sein Privatleben in einem schlimmen Zustand ist, usw. Aber er bleibt naiv, er glaubt wirklich, dass letztendlich alles in Ordnung sein wird. Bei vielen Menschen, die am Fluss leben, erlebe ich diesen Optimismus. Das sind jene Donaumenschen, dieser Fluss ist ihr Leben und er ist wichtiger als z.B. Kriege. Dieser Mensch ist nur diese ganz winzige Figur, aber an ihm kann man vieles festmachen und über ihn noch vieles erzählen... Man könnte von ihm ausgehend etwa überhaupt über den Charakter von an Flüssen lebenden Menschen sprechen. Aber in der Geschichte geht es nicht nur darum, sie setzt diesen Menschen als Figur ein, um etwas anderes zu erzählen.
Für Ihre Kurzgeschichte "Born in the Danube" diente Ihnen ein Song von Bruce Springsteen als Inspiration, Born in the USA. Inwiefern sehen sie den Bezug zwischen der Situation der Menschen in Springsteens Song und der Situation der Menschen in ihrer Geschichte?
Es gibt viele Hinweise auf den Song in der Geschichte, nicht nur das Motto, auch der erste Satz ist schon eine Allusion. Man muss sich die Charaktere in Springsteens Song ansehen, Veteranen der US-Armee. Man findet dort nicht die gleichen Menschen wie bei mir, aber die gleiche Atmosphäre. Man findet auch ein zerstörerisches System und Menschen, die versuchen ihr Leben zu leben. Ich denke was Springsteen mit diesem Song versucht hat, ist, auf ironische Weise zu erzählen, wie ein Mann der in den USA lebt, diesem großen, wichtigen Land, darauf stolz zu sein versucht. Diesen ironisierten Stolz hat der Song schon im Titel. Amerikanische Politiker dachten anfangs, dass es ein patriotischer Song sei, aber der Song ist sehr kritisch-zweifelnd gegenüber dem amerikanischen Traum. Ich habe versucht zu erzählen, dass man in gewisser Weise ebenfalls stolz sein kann, wenn man an einem so großen Fluss lebt, der ein sehr wichtiger Teil von Europa ist – daher Born in the danube.
Im Unterschied zu anderen Kontinenten gibt es fast keinen Unterschied zwischen all unseren kleinen Ländern in Europa. Österreich und Serbien unterscheiden sich sehr, aber wer in Indien, Pakistan oder Australien lebt, und auf die Karte schaut, denkt wohl nicht, dass die Menschen an der Donau so verschiedenartig sein könnten. Was ich damit zu sagen versuche ist, dass man zu diesem europäischen Gebiet gehören kann, und - obwohl man eigentlich stolz darauf sein kann bzw. mein Held auch stolz darauf ist - man deswegen geichzeitig viele Probleme haben kann. Die ironische Verbindung zum Song liegt also in der Tatsache, dass der Charakter bei Springsteen stolz davon singt, Amerikaner zu sein und dabei so ein beschissenes Leben hat. Wenn man sich meinen Charakter anschaut, kann man einige Ähnlichkeiten mit diesem Gedanken finden, auch wenn sie nicht gleich sind, mein Kerl von der Donau, und der Kerl aus den USA.
Was für eine Lektüre empfehlen Sie jemandem, der sich für Literatur aus Serbien interessiert?
Ivo Andrić, der Nobelpreisträger, war sicher ein sehr einflussreicher Schriftsteller für die serbische Literatur. Er schrieb, soweit ich weiß, nie eine Geschichte über die Donau, aber dafür geht es in seinem berühmten Roman „Die Brücke über die Drina“ um den Fluss Drina. Ich persönlich bevorzuge einen anderen wichtigen serbischen Autor, Miloš Crnjanski, und weil wir schon bei der Donau sind, er war ein Schriftsteller aus der Vojvodina, lebte in der Nähe des Flusses, und viele seiner Romane spielen nahe der Donau. Ich könnte auch Radoslav Petković empfehlen, einen jüngerer Schriftsteller. Ebenfalls moderne gute Schriftststeller sind David Albahari und Dragan Velikić. Einen sehr bedeutenden Schriftsteller namens Danilo Kiš muss ich noch erwähnen, er ist sehr wichtig für meine Generation. Er starb in den 80er Jahren, aber seine Werke werden von meiner Generation viel gelesen und in gewisser Weise denke ich, dass er sehr wichtig für das europäische Serbien ist da er noch vor den Kriegen auch über den Nationalismus schrieb. All diese Autoren sind ins Deutsche übersetzt worden.
Vielleicht können Sie einige Worte über Ihr Buch sagen, das bald erscheinen wird, Ihren neuesten Roman?
Ich denke, dass mein neues Buch diesen Winter erscheinen wird, ich schrieb es vor ein, zwei Jahren und es ist eine Erzählband über die Furcht vor dem Durchzug. Denn in Serbien kursiert die ständige Angst vor dem Durchzug, es gibt immer jemanden der sagt „Oh, es bläst ein Wind, bitte schließ das Fenster.“, daher auch der Titel des Bandes „Angst vor dem Durchzug“. Ich versuche darin über das heutige Serbien zu sprechen, über Probleme, vor allem sozialer Natur, über Menschen die im Nachkriegsserbien leben. Ich verwende zwölf Nationalsymbole und versuche mit diesen ein paar interessante Spiele anzustellen.
Das Interview wurde im November 2011 im Rahmen der Wiener Lesefestwoche auf Englisch und Serbisch, gedolmetscht von Elena Messner, geführt.