Mladen Savić hat mit seinem Essayband "Mücken und Elefanten", 2016 beim Drava-Verlag erschienen, sein Debut vorgelegt.
Elena Messner bat ihn um ein Gespräch.
Woher die Idee, dass man als ein junger Intellektueller, der sich regelmäßig in Zeitschriften und Zeitungen äußert, eine Auswahl von Essays, Reflexionen und Polemiken nun auch in Buchform publiziert?
So regelmäßig äußere ich mich, genau genommen, gar nicht. Dazu müsste ich öfter Texte einschicken und mehr schreiben. Da habe ich dann doch lieber hin und wieder Sex. Jung bin ich mit 37 Jahren und einem Hang zum Herumalbern höchstens innerlich, und ob es so etwas wie Intellektuelle überhaupt noch gibt, weiß ich nicht.
Die wahren Intellektuellen vereinen in sich Rationalität, Radikalität und schonungslosen Realismus. Mit ihren Gedanken und ihrem Engagement bringen sie die bestehende Ordnung in Bedrängnis, um diese durch eine geschichtlich fortschrittlichere zu ersetzen. So ein Szenario klingt für mich zwar schön, aber auch ein bisschen wie Nachrichten aus Nirgendwo.
Warum ich publiziere, woher die Idee, wieso gerade Essays? Manchmal ist es mir selbst ein Rätsel, dass ich zum Nachdenken und Schreiben komme. Als Lohnabhängiger ohne Besitz oder Erbe fällt es, zeitlich gesehen, schwer, kontinuierlich kontemplative bis kreative Momente zu erleben. Arbeit macht müde und Müdigkeit unkreativ. Nur Eigentum befreit davor.
Trotzdem haben sich Texte angesammelt, gewissermaßen ganz von selbst. Sie sind ein Teil von mir, Zeugnisse meiner Interessen, intime Berichte meines Weltbildes, verschriftlichte Kämpfe gegen die eigene und allgemeine Entfremdung. Auf der Suche nach gedanklichen Kristallisationspunkten haben sich natürlich Essays als die passende literarische Gattung angeboten.
Wie darf man sich den Prozess der Textauswahl für das Buch vorstellen?
Im Zeitalter von Massenmedien und Internet sind Artikel aller Art bald einmal Schnee von gestern. Also habe ich ein Buch angedacht, ein Manuskript erstellt und mein Glück versucht. Die Idee ist anfangs unter keinem guten Stern gestanden. Man hat mir zum Beispiel gesagt, zuerst müsste ich die Königsdisziplin des Romans meistern, und dergleichen. Doch letzten Endes hat alles geklappt, auch wenn die konkrete Auswahl der Texte für mich in Wirklichkeit kein Leichtes gewesen ist.
Die Essays widmen sich den Feldern der Politik, der Literatur, der Philosophie und der Geschichte – daher werden sie auch im Buch in unterschiedlichen Kapiteln präsentiert. Lassen sich diese Felder überhaupt so leicht voneinander abtrennen?
Nein, im Gegenteil. Die Vorstellung, dass fein säuberliche Trennungen all der Felder irgendwie möglich wären, ist meiner Meinung nach absurd. Der Mensch ist eine bio-psycho-soziale Einheit, seine Gesellschaft ein Ensemble geschichtlicher, geistiger und politischer Entwicklungen. Die ideologischen Verhältnisse jeder Epoche bilden da immer auch die materiellen Verhältnisse ab, die ihnen zugrunde liegen. Es handelt sich dabei um ein Netz unsichtbarer Nähte, um eine lebendige Wechselbeziehung, kurz, um einen Standpunkt der Praxis, welcher die Theorie nachkommen muss, und nicht umgekehrt. Wer das vergisst oder unterschlägt, wird sich verlaufen, sei es in Spekulation, sei es in Propaganda.
Ursprünglich hat es diese Unterteilungen im Buch nicht gegeben. Ich habe dem aber, auf Drängen des Verlags und aus Gründen der Übersichtlichkeit, schließlich zugestimmt. Der Essay-Band ist als ein Ganzes konzipiert gewesen und insofern als Plädoyer zur Hebung des Verstandes und als Weckruf des kritischen Bewusstseins. Hoffentlich ist es mir einigermaßen gelungen.
Wenn ich etwa über Platon und Nietzsche, über Demokratie und Revolution, über Antike und Postmoderne schreibe, dann beziehe ich mich selbstverständlich auch auf uns hier und jetzt, auf unsere Anschauungen und Vorurteile, unser verkehrtes Leben und unsere Gesellschaft. Verdrängung und falsche Übertragung hindern uns oft daran, Zusammenhänge zu erkennen und die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Nicht nur ist Antiintellektualismus zum Gemeinplatz geworden, sondern auch zur größten Bedrohung der Gegenwart. Als Autor möchte ich dem entgegenwirken.
Zum Titel „Mücken und Elefanten“: Soll die Mücke zum Elefanten, oder der Elefant zur Mücke gemacht werden, und wieso?
Mein Erstlingswerk behandelt querbeet sowohl winzige als auch wichtige Themen, von der Freundschaft bis zur politischen Fantasie, von den utopischen Romanen der Geschichte bis zu den europäischen Gesetzestexten von heute. Für Abwechslung ist jedenfalls gesorgt, und der Titel erscheint mir daher sehr passend. Außerdem bedient er, mehr dem Klang als den Inhalten nach, die Assoziation eines Kinderbuchs. Das gefällt mir und belustigt mich.
Doch zurück zur Frage: Die Weltgemeinschaft und überhaupt die Staatlichkeit ist es, die dazu neigt, aus Mücken einen Elefanten zu machen und Probleme im großen Stil kleinzureden. Für denkende Menschen, die meist aus gruppendynamischen Gründen jedwede Organisation meiden, ist es insgesamt eine Zumutung. Mein Buch verweigert sich vielmehr dieser Unart der Zeit, aus ihren Signalen keine Signifikanz abzuleiten, sprich, aus einem Elefanten ständig eine Mücke machen zu wollen. Wenn nämlich die Dinge theoretisch neblig bleiben, findet man aus diesem Nebel praktisch nicht heraus. Da braucht es schon eine Fackel der Erfahrung und des Überdenkens, welche den klaren Blick wieder ermöglicht.
Inwiefern speisen sich viele Überlegungen, die in den Essays so pointiert dargelegt werden, aus der Aktivität, aus der Arbeit und dem Studium des Autors? Die Biografie verrät uns, dass Sie Aktivist, ausgebildeter Friedensdiener und internationalen Wahlbeobachter, andererseits Lektor, Übersetzer und freier Autor sind? Wie gestaltet sich ein Leben zwischen Schreiben und Aktivismus, zwischen Philosophie und politischer Arbeit?
Danke zunächst für das Lob. Das Pointierte vieler Texte speist sich aus meiner Vorliebe für das Aphoristische, dessen gedrängte Form ich schlichtweg liebe. Was die vielfältigen Überlegungen betrifft, wie sie sich ergeben haben usw., dazu kann ich nur sagen, dass sie mit meinem Lebensweg zusammenfallen, einer Mischung sozusagen aus bürgerlicher Erziehung und proletarischer Existenz.
Diplomatisch, also als Wahlbeobachter und internationaler Friedensdiener, bin ich nie tätig gewesen. Den Wunsch, zu helfen und in der Welt herumzureisen ohne Geld, habe ich nach einigen erfolglosen Ausschreibungen abgelegt, auch deshalb, weil ich meine Rolle im schmutzigen Geschäft der Diplomatie irgendwann gründlich überdacht und verworfen habe. Man muss sich treu bleiben.
Politisch aktiv bin ebenfalls nicht mehr, seit ich am eigenen Leibe schmerzlich erfahren habe, was für engstirnige Subjekte jeder institutionelle Rahmen hervorbringt, insbesondere in der modernen Linken, die, unfähig, Wichtiges vom Unwichtigen zu unterscheiden, ihre emanzipatorische Tradition wohl nur noch vom Hörensagen kennt. In ihr ist, soziologisch gesprochen, das Kleinbürgertum mit all seinen Befindlichkeiten und politisch jungfräulichen Sorgen dominant. Bergpredigt ohne Gott ist mir, so leid es mir tut, nicht links genug. Darum schreibe ich, zwischendurch, wenn ich nicht gerade wieder meiner Arbeit als Flüchtlingsbetreuer nachgehe oder im Wiener Vorstadttheater auf der Bühne stehe.
Viele der Essays könnten – abgesehen von ihrem reflexiv-philosophischen Aspekt – auch als literarisch versierte, passagenweise geradezu lyrische Kurztexte gelesen werden...
Das stimmt. Schreiben heißt für mich: Zeugnis ablegen – vor sich und der Welt. Es heißt außerdem: inhaltlich wie ästhetisch – ins Gericht ziehen. Solche Texte, lyrisch oder nicht, müssen für sich stehen können.
Sind weitere Buchprojekte und Texte in Arbeit?
Durchaus. Die Schriftstellerei ist meine Leidenschaft. Eine neue Publikation würde mich freuen, aber das hängt nicht von mir allein ab. Verkaufszahlen sind, wenn man so will, nicht nur Indizien der Qualität, sondern auch Zensurmaßnahmen des Marktes. Ich werde, wie gesagt, weiterschreiben.
Das Interview wurde im Mai 2016 geführt.
Buchinfo: Mladen Savić: Mücken und Elefanten. Essays, Reflexionen und Polemiken. Klagenfurt/Celovec: Drava: 2016
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