Infos und Kontakt: Redaktion 

"Jede Menge subversives Potenzial"

Gespräch über Vitomil Zupans Roman "Menuett für Gitarre (zu 25 Schuss)" mit dem Übersetzer Erwin Köstler

Erwin Köstler, Foto: Rado Likon
Erwin Köstler, Foto: Rado Likon

Erwin Köstler ist als Literaturwissenschaftler tätig, er war Mitarbeiter mehrerer großer wissenschaftlicher Projekte und unterrichtet derzeit am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien. Er ist einer der renommiertesten Übersetzer slowenischer Literatur ins Deutsche. Man wird in Zusammenhang mit seiner Namensnennung vielleicht zuallererst an die enorme Übersetzungsarbeit rund ums Werk von Ivan Cankar denken, denn seit 1994 betreute er eine Werkausgabe in kommentierten Einzelbänden, Großteils Erstübersetzungen. Vielleicht denkt man aber auch an die Buchreihe Slowenische Bibliothek, die er als Initiator und Herausgeber begleitete, ein Gemeinschaftsprojekts der Verlage Drava, Wieser und Hermagoras, die slowenische Prosa des 19. und 20. Jahrhunderts umfasst und 2013 mit der Herausgabe der ersten fünf Bände startete. Auch bei der Beschäftigung mit Kärntner slowenischer Literatur kommt man nicht an Erwin Köstler vorbei, der Prežihov Voranc, Lipej Kolenik, Jože Blajs oder Milka Hartman fürs deutsche Publikum zugänglich machte. 1999 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzer, 2010 das Lavrin-Diplom (Lavrinova diploma), eine vom Verband slowenischer Literaturübersetzer jährlich verliehene Auszeichnung für besondere Verdienste im Bereich der Vermittlung slowenischer Literatur im Ausland. Für seine Übersetzung des Romans Chronos erntet von Mojca Kumerdej wurde er 2020 mit dem Fabjan-Hafner-Preis ausgezeichnet. 

Das folgende Gespräch zwischen Elena Messner und Erwin Köstler wurde im Winter 2021 schriftlich geführt.

 

Lieber Erwin Köstler, der Roman Menuett für Gitarre (zu 25 Schuss) von Vitomil Zupan ist in der deutschen Fassung ein 600-Seiten Roman, der den bewaffneten Partisanenwiderstand der Slowenen gegen die italienischen und deutschen Besatzer in einer autobiografischen Erzählung fasst. Publiziert wurde der Roman in den 1970er Jahren. Sehr spät kommt die Übersetzung ins Deutsche. Umso wichtiger ist sie. Wieso kam es erst mit so großer Verspätung nun endlich zu dieser wichtigen Übersetzung eines Buches, das zu den Klassikern der slowenischen Literatur zählt? Ich denke, die Rolle des Übersetzers wird eine nicht unwesentliche gewesen sein? Bist du auf offensichtliche, politische, kulturelle Gründe gestoßen, weshalb Zupan so lange nicht ins Deutsche übersetzt wurde, oder ist das eher der Willkür des Übersetzungsmarktes geschuldet?

Nun, es gibt nicht allzu viele slowenische Autoren und Autorinnen, die überhaupt in nennenswertem Maßstab im deutschsprachigen Raum rezipiert wurden. Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es nicht einmal dreißig Einzelpublikationen mit Texten slowenischer Autoren in deutscher Sprache, und keine von diesen Publikationen hatte eine bleibende Wirkung. Nach dem Zweiten Weltkrieg öffnete sich der Bereich etwas, es gab einzelne Versuche, slowenische Literatur zu lancieren, das meiste, was übersetzt wurde, kam aber über persönliche Kontakte zustande und war ebenfalls von sehr begrenzter Wirkung. Die internationale Berühmtheit, die der Lyriker Tomaž Šalamun in den 1960er und 1970er Jahren genoss, schlug sich natürlich auch in deutschen Übersetzungen nieder, ebenso die „Affäre Kocbek“ 1975, als das Engagement Heinrich Bölls die Verhaftung dieses slowenischen Autors verhinderte, das ging damals durch die internationale Presse. Von einer systematischen Übersetzungstätigkeit können wir aber erst seit den frühen 1980er Jahren sprechen, und diese ging maßgeblich von den Minderheitenverlagen in Kärnten, vor allem dem Drava Verlag aus. Allerdings gab es damals noch keine Professionalisierung im Bereich der Übersetzung slowenischer Literatur – und es gab vor allem fast keine Übersetzer. Man begab sich sozusagen auf ein Feld, das noch nicht beackert und voller Steine war, und dem entsprechend sind auch den frühen Übersetzungen, die aus der programmierten Vermittlung slowenischer Literatur hervorgingen, die Mühen der Ebene noch anzumerken.

Seither hat sich einiges getan. Die Minderheitenverlage in Kärnten entwickelten sich zu Literaturverlagen mit überregionaler Ausstrahlung, andere kamen hinzu, die heute slowenische Literatur programmieren, in Österreich und in Deutschland. Das gesamte Feld der Literaturübersetzung hat sich professionalisiert, woran die Übersetzerverbände maßgeblichen Anteil haben, mittlerweile gibt es ein öffentliches Bewusstsein dafür, dass die Übersetzer einen wesentlichen Faktor im globalen Literaturbetrieb darstellen, und manchmal wird es eben auch im Zusammenhang mit einer Übersetzung aus dem Slowenischen bemerkt. Das ist nicht allzu oft geschehen, weil slowenische Literatur für gewöhnlich als „Nischenprodukt“ behandelt wurde und weil es noch immer keinen richtigen „Markt“ für slowenische Literatur in deutscher Übersetzung gibt. Das könnte sich mit dem Gastlandauftritt Sloweniens auf der Frankfurter Buchmesse 2023 ändern, zumindest vorübergehend. Mit der konjunkturbedingten Aufmerksamkeit ist es aber immer so eine Sache: Sie kann zu einer dauerhaften Akzeptanz führen, muss aber nicht. 

Dass Zupan so lange nicht ins Deutsche übersetzt wurde, erkläre ich mir daraus, dass es einfach niemanden gab, der ihn zur Übersetzung vorgeschlagen hätte. Wir sind, wie ich gesagt habe, nicht viele, die ständig oder sogar hauptberuflich slowenische Literatur übersetzen, und die Wenigsten wagen sich an tote, „klassische“ Autoren heran. Wahrscheinlich gab es einfach nicht den richtigen Kanal, einen darüberhinausgehenden politischen Grund kann ich nicht erkennen. Übrigens stammen die meisten Übersetzungen (ins Serbische, Kroatische, Albanische, Polnische, Ungarische, Englische) des Menuett aus den 1970er und 1980er Jahren. Auch die Übersetzungen ins Katalanische (2015) und ins Italienische (2019) kamen ja sehr spät – sie weisen aber (zusammen mit der deutschen Übersetzung) auf ein gestiegenes Interesse in den letzten Jahren hin.

 

Was macht Vitomil Zupan zu einem besonderen Autor und zu einer ungewöhnlichen Figur der jugoslawischen Nachkriegsliteratur, warum sollte man ihn längst kennen? Und warum nimmt dieses Buch eine markante Rolle in der slowenisch-jugoslawischen Literatur ein?

 

Der Arbeitsplatz des Übersetzers
Der Arbeitsplatz des Übersetzers

 

Mit Zupan haben wir einen Autor vor uns, der sozusagen den slowenischen Maßstab sprengt, nicht nur, weil seine Prosa alle ideologischen Maßgaben unterläuft, sondern auch wegen seines fast legendären Status als Autor, der sich selbst zum Maßstab setzte. Der Publizist und Filmkritiker Marcel Stefančič hat das einmal so ausgedrückt: Man kann öfter einmal hören, wenn es den und den Menschen nicht gäbe, dann müsste man ihn erfinden; bei Zupan gelte das nicht – einen solchen hätten die Slowenen nie erfinden können!

In Slowenien genießt Zupan seit den 1970er Jahren in einer gewissen Leserschaft Kultstatus. Seine Literatur war ungemein einflussreich auf die Autorengeneration, die damals, in den „bleiernen“ Siebzigerjahren, die literarische Bühne betrat, nicht nur in Slowenien, auch in den anderen Republiken Jugoslawiens; und er wird bis heute rezipiert, wie die Neuausgaben einiger seiner Bücher zeigen. Aber auch ohne diesen Hintergrund kann der Text mit Gewinn gelesen werden, und er regt, wie einige der zu Menuett für Gitarre erschienene Rezensionen belegen, noch heute auf. Zupan schreibt immer konkret über die Wirklichkeit, die ihn umgibt, aber jeder Satz transportiert etwas, das uns als Menschen über die Zeiten, Nationalitäten und politischen Systeme hinweg anspricht. Er ist einfach ein großer europäischer Autor. Karl-Markus Gauß zum Beispiel hat geschrieben, dass man das längst wüsste, wenn der Autor nicht auf Slowenisch, sondern in einer der „großen“ Sprachen geschrieben hätte. Im Menuett haben wir ja auch den Fall vor uns, dass ein Autor „Geschichte von unten“ mit einem zivilisationskritischen und kulturanthropologischen Ansatz verbindet, und zwar mit der großen Geste des universal Gebildeten – das hat es bis dahin in der slowenischen Literatur einfach nicht gegeben. Vor allem aber schreibt er unheimlich gut.

Vitomil Zupan beschreibt den Alltag der Partisanen in den 1940er Jahren in Slowenien und Umgebung. Ohne Aufklärung, teilweise ohne Waffen, ohne Versorgung stolpern die Einheiten durch die Wälder. Meistens wissen sie nicht, wo die Deutschen sind, wie viele sie sind, wie die Bewaffnung ist. Die Romanhandlung ist so chaotisch, wie Krieg und Partisanenalltag es waren. Das allein kann man im Hinblick auf traditionellere jugoslawische Partisanenliteratur als subversiv bezeichnen, weil es mit dem Loyalitätszwang gegenüber der Widerstandsbewegung bricht, die oft als planlos und konfus inszeniert wird. Inwiefern würdest du diesen Roman denn als „slowenisch“ bezeichnen, oder auch als „jugoslawisch“, und inwiefern begründete er ein eigenes Genre, eine Art Groteske auf den Partisanenroman?

Tatsächlich gibt es viel Groteskes in diesem Text, das sich nicht mit dem Pathos der „üblichen“ Partisanenliteratur vereinbaren lässt. Die Kameraden um die Hauptfigur Berk herum sterben zahlreich und überhaupt nicht pathetisch, der Tod kommt ziemlich banal und zufällig daher, manchmal nimmt Berk nur aus dem Augenwinkel irgendeine groteske Gliederverrenkung wahr. Ich glaube aber nicht, dass der Roman als Groteske auf den Partisanenroman konzipiert ist. Er stellt nur eine andere Wirklichkeit dar als die, die von der politischen Elite gefordert wurde. Ich denke auch nicht, dass die geschilderte Konfusion, die im Kampfgeschehen oft auf eine planlose Flucht der Partisanen hinausläuft, verallgemeinert werden darf. Im Gegenteil, Zupan schildert auch sehr detailliert die institutionelle Seite der Widerstandsbewegung, die einen erstaunlichen Organisationsgrad aufweist; das befreite Gebiet in der Bela krajina stellt geradezu einen „Staat zur Probe“ dar, mit verzweigten Verwaltungsstrukturen, medizinischen Einrichtungen, Druckereien, einem Nationaltheater und sogar einer Bank. Aber die Kämpfer haben zum Großteil keine militärische Ausbildung, die Bewaffnung ist miserabel, die Gewehre schießen zum Teil „ums Eck“, wie es bei Zupan heißt – und so tritt man der hochgerüsteten deutschen Armee gegenüber, die damals als „die beste der Welt“ gilt, wie es im Roman des Öfteren heißt. In gewisser Weise passt das sogar zum offiziellen heroischen Narrativ über den Partisanenkampf, über die Widerstandskraft und Leidensfähigkeit eines Volkes, das weiß, dass es das einzig Richtige tut. Und auch Zupans Roman lässt ja überhaupt keinen Zweifel daran, dass der Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus die einzige ethisch vertretbare Option darstellt.

Nicht mit der offiziellen Erzählung kompatibel ist allerdings, dass Zupan aus diesem Setting einen Text baut, der jegliches Kriegsnarrativ – und damit auch das identitätsstiftende Narrativ vom Befreiungskampf der Partisanen – infrage stellt. Man sollte nicht vergessen, dass 1975 die Möglichkeit eines Atomkriegs ziemlich konkret war und dass damals in Jugoslawien auch die Nationalismen schon wieder aufzubrodeln begannen – auch darauf kommt Zupan im Buch immer wieder zu sprechen. In Wahrheit hatte der jugoslawische Befreiungskampf, wie Zupan an mehreren Stellen andeutet, nie die verbindende Kraft entfaltet, die nationalen Gegensätze zum Verschwinden zu bringen. Und klarerweise waren Teile der Bevölkerung, die den ehemaligen Kollaborateuren angehörten oder nahestanden, vom heroischen Narrativ des neuen jugoslawischen Staates von vornherein ausgeschlossen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die kollektive Erinnerung, die der neue Staat zum Zentrum seiner Identitätspolitik gemacht hatte, gegen andere, „schädliche“ Narrative durchgesetzt werden musste; das einzig erlaubte war eben das Narrativ der Sieger. Unter der Oberfläche aber bröckelte es bereits; vielleicht erfüllte damals gerade die jugoslawische Armee noch so etwas wie eine integrative Funktion, aber wenn wir lesen, was Lojze Kovačič in den Siebzigern und Franjo Frančič Mitte der Achtziger über den Druck und den offenen Sadismus in der Armee geschrieben haben, wird uns klar, dass es hier nicht mehr viel Verbindendes gab.

Zupan hat mit seinem Roman wahrscheinlich genau den richtigen Zeitpunkt erwischt, um solche Fragen im Rahmen eines universalen Diskurses über den Krieg zu behandeln und ideologische Verkrustungen aufzubrechen. Er zieht ja, soweit sie ihm eben erreichbar ist, die ganze Weltgeschichte heran, um seinen eigenen Standpunkt (als Kriegsteilnehmer, als Jugoslawe, als Europäer, als Weltbürger) zu belegen. Sein Roman ist gespickt mit intertextuellen Verweisen auf die Verankerung der Kriegsthematik in jeglicher Kultur, von den Gründungsmythen der sogenannten Naturvölker über die antike und mittelalterliche Philosophie bis in die Neuzeit, von den militärstrategischen Überlegungen eines Napoleon oder eines Tuchatschewski bis hin zu den großen Antikriegsromanen des 20. Jahrhunderts, Hašeks Švejk, Remarques Im Westen nichts Neues oder Célines Reise ans Ende der Nacht. Und so ganz nebenbei bekommen wir einen Einblick in die soziologische Basis des bewaffneten Widerstands in Jugoslawien, der bei Weitem nicht so homogen war, wie das spätere Parteistrategen zu Propagandazwecken dargestellt haben wollten. Das zeigen schon die Stellen, an denen der Autor den Kämpfern „nach dem Mund redet“, ohne Rücksicht auf sprachliche Dezenz oder ideologische Erwartungen. Das hat sehr starke karnevaleske Züge, und da steckt jede Menge subversives Potenzial drin.

Die Erzählerstimme im autobiografischen inspirierten Buch ist eine hochgradig ironische: sie räsoniert, lästert, erzählt Anekdoten, springt zwischen Zeiten, Handlungsebenen hin und her, da verwebt sich ein Essay zu einem Kriegsbericht, eine Autobiografie zu einer pornografischen Unterhaltung, philosophische Abhandlung trifft auf wütende Abrechnung mit der Nachkriegssituation. Auf der stilistischen Ebene liegt vielleicht die größte Herausforderung für einen Übersetzer. Welche Eingeständnisse musstest du machen, um solch einen Roman überhaupt zu übersetzen? Gibt es Dinge, die stilistisch unübersetzbar waren? Wie nähert man sich als Übersetzer solchen undurchsichtig und konfus inszenierten Erzählebenen?

 

Im Roman mischen sich tatsächlich viele Ebenen, auf denen erzählt wird, da herrscht eine große Polyphonie, und man muss als Übersetzer in der Lage sein, zwischen all den Registern, die der Autor zieht, zu wechseln, und zwar so, dass alles noch leicht und zwanglos klingt. Undurchsichtig oder konfus ist mir in diesem Text eigentlich nichts erschienen, im Gegenteil, Zupan schreibt äußerst präzise, da ist kein Satz, der nicht seine Funktion im Ganzen hätte. Aber es gibt freilich Passagen, die viel Denkarbeit und auch ein gewisses Maß an Inszenierung erfordern, zum Beispiel, wenn ein paar Leute zusammensitzen und ein chaotisches Gespräch miteinander führen. Das ist dann ein bisschen wie Theater, jeder redet, was ihm gerade einfällt, und die Dinge, die gesagt werden, passen nicht unbedingt immer zusammen, aber gerade das macht die geschilderte Situation dann aus. Für einen Übersetzer ist es immer schwer, solche inkohärent wirkenden Szenen gut hinzukriegen. Zupan hat auch einige Figuren drin, die die ganze Zeit irgendwelche Sachen von sich geben, die scheinbar überhaupt keinen Sinn ergeben, die Redewendungen ad hoc erfinden und eine sprichwörtlich verklausulierte Sprache sprechen, die wahrscheinlich auch nicht für jeden slowenischen Leser immer leicht zu verstehen ist. Hier ergibt sich das Gemeinte tatsächlich oft nur aus der Situation, und als Übersetzer muss man den Mut haben, solche Dialoge „nachzuschaffen“, damit der Witz einer Szene nicht verlorengeht. Dialektale, volkstümliche Ausdrucksweisen stellen immer ein Problem dar, weil sie sich im Grunde nicht aus ihrem kulturellen und sprachlichen Kontext herausreißen lassen, in einer bloßen (vielleicht sogar wortgetreuen) Übertragung werden sie platt und meistens auch unverständlich. Da ist die Erfindungsgabe des Übersetzers gefragt, idiomatische Anklänge und Wortassoziationen herzustellen, die das Gespräch mit Leben erfüllen und dem Leser die Möglichkeit geben, selbst den für das Verständnis nötigen Zusammenhang in das inszenierte Chaos zu bringen. Das ist ja ein durchaus lustvoller Vorgang, und wenn ich als Übersetzer den Leser bei der Stange halten kann, habe ich gewonnen!

Das Personal der Kämpfer setzt sich aus allen Bevölkerungsteilen, aus Bauern, Arbeitern, Studenten, Lehrern, Beamten, Klerikalen, Liberalen, Kommunisten zusammen, dementsprechend clashen ihre Sprechweisen. Ihnen allen steht das politisch verbrämte Idiom des Politkommissars gegenüber. Die Hauptfigur, der anarchistisch angehauchte Jakob Berk, wurde ja selbst bürgerlich-liberal sozialisiert, er war Mitglied des Sokol (des liberalen Turnerbundes, der übrigens an der Gründung der OF, der slowenischen Befreiungsfront, beteiligt war), und die Erfahrungen, die er bei den Pfadfindern gemacht hat, kommen ihm jetzt bei den Partisanen zugute. Dieses Setting hat an sich eine gewisse Sprengkraft, weil es beschreibt, wie heterogen der von den Kommunisten für sich vereinnahmte Widerstand in Wirklichkeit war (und die Hauptfigur selbst kommt mit der Vereinnahmung des Widerstands durch die Kommunisten ja auch nicht klar). Dadurch, dass Berk so ausführlich auf die Herkunft und die Eigenheiten seiner Kameraden eingeht, führt er den „Volksbefreiungskampf“ auf seine soziologischen Grundlagen zurück und zeigt, dass die Motive, zu den Partisanen zu gehen, zum Großteil keine ideologischen waren, im Gegenteil: viele wurden bei den Partisanen erstmals einer politischen Schulung unterzogen. Manche Bauern wurden auch zwangsrekrutiert – die hatten keine besondere Motivation, sich bei den Kämpfen aus dem Fenster zu hängen; einige hauten bei der ersten Gelegenheit auch wieder ab.

Alle genannten sozialen Gruppen haben ihre Sprechweisen und ihre Begrifflichkeiten, und sie alle drücken sich in der sprachlichen Polyphonie dieses Romans aus. Die stilistische Diversität, die sich daraus ergibt, ist sicher eine Herausforderung für jeden Übersetzer, sie stellt aber vielleicht gar kein so großes Problem dar, wenn man sich vom Ausgangstext leiten lässt. Man muss es halt erkennen, wenn das Register wechselt. Der Rest obliegt dem Sprachgefühl und dem Inszenierungsgeschick des Übersetzers.

Literatur als Bildungsprogramm für Übersetzer
Literatur als Bildungsprogramm für Übersetzer

Die als anarchisch inszenierte Hauptfigur ist ja konsequenterweise auch in eine anarchische Erzählstruktur verstrickt. Der Roman quillt über von zitierten Volksliedern, Schlagern, alten und neuen Volksweisheiten, philosophischen Traktaten, unterschiedlichsten Literatur- oder Theatertexten und politologischen Zitaten über historische Figuren. Und dann noch der Dialekt, Färbungen, oder der Kriegs- und Partisanen-Jargon? Für den Übersetzer muss diese Masse an Fremdtexten einen enormen zusätzlichem Aufwand und viel Recherche bedeutet haben. Wie bist du vorgegangen?

 

Der Text ist von vorn bis hinten durchsetzt von Zitaten verschiedenster Provenienz. Es war zunächst einmal nötig, all diese für mich fassbaren Zitate zu verifzieren. Ich habe mir im Lauf der Arbeit an der Übersetzung die in Frage kommenden Stellen markiert und zusammengeschrieben, bei vielen nennt Zupan ja die Quelle, aber beileibe nicht bei allen. Allein die Bibliotheksarbeit hat sich über Monate hingezogen, und es ist mir gelungen, das meiste aufzufinden, aber nicht alles. Vor allem dort, wo direkte Zitate (unter Anführungszeichen) verwendet werden, war es ja nötig, auf deutsche Originaltexte und bestehende Übersetzungen zurückzugreifen, alles andere wäre lächerlich gewesen. Manche Zitate mussten dann aber wieder abgeändert werden, weil Zupan sie adaptierend zitiert hat usw. Das war ungeheuer viel Arbeit, und man muss schon so gepolt sein, dass einem solche Recherchen Spaß machen. Viele Texte, die ich noch nicht kannte, sind mir auf diese Weise zugänglich geworden, von spanischer Renaissanceliteratur über Metternichs Erinnerungen an Napoleon bis zum „Mythos Maschine“ eines Lewis Mumford – das war ein richtiges Bildungsprogramm.

Viel Recherche auf der sprachlichen Ebene erforderte die Wiedergabe der offiziösen Begrifflichkeiten und Termini, die in diesem Roman vorkommen. Der Text setzt chronologisch kurz nach der Kapitulation Italiens im September 1943 ein, als die Hauptfigur Jakob Berk zu den Partisanen geht. In Rück- und Vorblenden behandelt er aber einen Zeitraum, der von den 1930er Jahren bis zu einem Urlaubsaufenthalt auf Mallorca in den frühen 1970ern reicht, und er erzählt zwischendurch auch immer wieder vom Spanischen Bürgerkrieg. Dadurch eröffnet sich eine weitere Form der Polyphonie, die historisch gedacht werden muss, denn die wechselnden politischen Systeme, die Spanienkämpfer, die Partisanen, haben ihre eigenen Begrifflichkeiten und Ausdrucksweisen. Manche Begriffe aus dem Partisanenalltag („Meeting“ oder „Terrain“ zum Beispiel) ließen sich ohne weiteres übernehmen, andere nicht. Der Begriff „Hajka“ z. B., der das Kesseltreiben bezeichnet, das die Deutschen im Zuge ihrer Offensiven veranstalteten, ist in meine Übersetzung als Neologismus eingegangen, weil er im Slowenischen sprachlich produktiv ist und von Zupan auch in Ableitungen verwendet wird. Es gibt im Deutschen kein einziges Wort, das z. B. den Ausdruck „zahjakati“ (d. i. während einer Hajka eines Ausrüstungsgegenstandes verlustig gehen) auch nur annähernd ausdrücken könnte; ich habe ihn nach reiflicher Überlegung mit „verhajken“ wiedergegeben, um seiner kulturspezifischen und historischen Konnotation willen. Und wer weiß: Vielleicht finden wir ihn ja eines Tages im Duden. Wenn es um Organisationsstrukturen ging, die es historisch gesehen wirklich nur in diesem speziellen Kontext gab, war Recherche in Fachartikeln nötig, um festzustellen, ob diese Begriffe wenigstens in der deutschsprachigen Fachliteratur schon irgendwo übersetzt wurden. Meister Google war für vieles eine Hilfe, aber im Grunde musste alles, was ich dort fand, noch überprüft werden.

Die zitierten Partisanen- und Volkslieder (viele Partisanenlieder sind ja zu Volksliedern geworden und umgekehrt) musste ich tatsächlich selbst übersetzen. Ich habe versucht, diese Texte singbar wiederzugeben, das heißt ich habe mir auf Youtube alles, was ich nicht gekannt habe, angehört und nach der Singbarkeit meine übersetzerischen Entscheidungen getroffen; die Reime durften hier natürlich nicht fehlen. Den volkstümlichen doch agitatorischen Ton dieser Texte hinzukriegen, war furchtbar schwer, ich hoffe, es ist einigermaßen gelungen. In den Anmerkungen zur Übersetzung sind übrigens Links zu allen diesen Liedern zu finden, damit auch der deutschsprachige Leser, wenn er will, sie nachhören kann. Hier spielen ja die Melodie und das Pathos der Aufnahmen eine wichtige Rolle, und das zu hören kann richtig ergreifend sein; es gehört aber vor allem zum „Sound“ dieses Romans, und wer diese Lieder nicht im Ohr hat, kann sie ganz einfach nachhören.

Das Männerbild des Romans kann man gerne als veraltet bezeichnen. Ein viriler Held, dem die Ideologie letztendlich egal zu sein scheint, Kriegsheld will er keiner sein. Dafür ist er ein Weiberheld, wie er im Buche steht, „sexuell hyperaktiv“, wie es Karl-Markus Gauss bezeichnete, mit einer großen Portion Verachtung gegenüber Frauen, Partisaninnen und seinen Geliebten ausgestattet. Wie siehst du diese Ambivalenz zwischen dem Anti-Helden, der Berk in Bezug auf alles Politische und Partisanische ist, und dem maskulinistisch überhöhten Weiber-Helden, den Berk in Bezug auf sein Sexualleben darstellt?

 

Man kann, glaube ich, schon sagen, dass Menuett für Gitarre jede heroische Überhöhung des Partisanenkampfes, wie sie von den Hütern der damaligen Identitätspolitik gefordert wurde, unterläuft, vielleicht sogar durch die Verschiebung des Heroischen auf die Virilität der Hauptfigur und auf ihren vor Kraft und Begabung strotzenden Individualismus. Berk lässt jedenfalls keine Gelegenheit aus, um seine Kompetenzen zur Geltung zu bringen. Er war (wie der Autor) Boxer und Seemann, hat die Welt gesehen und sich an ihr gerieben, war Turner und legt Wert auf Disziplin, und sein Schwanz hat ihn offenbar im Umgang mit Frauen noch nie im Stich gelassen. Berk ist in seiner Promiskuität nicht zimperlich, er nützt einfach gern die Gelegenheiten, die sich ihm bieten (nicht anders übrigens als die Frauen, mit denen er schläft), er äußert sich auch recht rustikal über die körperlichen „Eigenschaften“ und das Verhalten der jeweiligen Partnerin. Aber er sucht gar nicht nach mehr, seine eigentlichen Interessen liegen anderswo – und die seiner wechselnden Partnerinnen offenbar auch. Man darf nicht außer Acht lassen, dass Berk dabei seine eigene Rolle stets mitreflektiert, er ist rückhaltlos offen, was ihn selbst betrifft, er sieht nicht nur die Frau, sondern auch sich selbst als Objekt seiner Neugier. Ob das „frauenverachtend“ ist, sollen andere beurteilen; für mich ist es einfach Teil der Erzählung. Außerdem glaube ich nicht, dass Zupan hier den Machismo verherrlicht, er beschreibt ihn als eine Tatsache, ob er uns gefällt oder nicht.

Karel Prušniks Klassiker "Gemsen auf der Lawine"
Karel Prušniks Klassiker "Gemsen auf der Lawine"

In der Österreichischen Literatur gibt es, abgesehen von autobiografischen Erzählungen von Kärntner Slowenischen PartisanInnen, ja kaum vergleichbare Literatur, die sich thematisch mit dem Widerstandskampf beschäftigt. Wie siehst du die Funktion solch einer Übersetzung im Hinblick auf den Mangel solcher Erzählungen im deutschsprachigen, v.a. auch österreichischen Zielland?

 

Sie bereichert in jedem Fall unser Wissen über ein sehr bedeutendes Kapitel der europäischen Zeitgeschichte. In Österreich gab es nach dem Krieg schon Autoren, die über den Befreiungskampf in Jugoslawien schrieben, Autoren wie Alexander Sacher-Masoch und Franz Theodor Csokor, die ihre Erfahrungen im jugoslawischen Exil verarbeiteten – das berühmte Österreichische Tagebuch (1946-1950) war z. B. ein Forum, in dem in der Redaktion wie bei den MitarbeiterInnen über die Erfahrung von Flucht und Widerstand ein enger gesellschaftspolitischer Bezug zu Jugoslawien gegeben war. In Kärnten schrieb Michael Guttenbrunner 1949 und 1950 für die Zeitschrift der Befreiungsfront (d.h. der Kärntner Partisanen) Die Einheit. Es gab aber, wie du sagst, nicht allzu viel Literatur, die über den Partisanenkampf berichtete, Paul Parins Bericht Es ist Krieg und wir gehen hin aus dem Jahr 1991 ist hier auf jeden Fall zu nennen. Ansonsten war es tatsächlich vor allem die Erinnerungsliteratur von Kärntner SlowenInnen, die uns seit Karel Prušniks Klassiker Gemsen auf der Lawine (1958, dt. 1980) die Zeit des bewaffneten Widerstands durch die Partisanen nahebrachte. Auch Zupans autobiographischer Roman hat natürlich Relevanz in diesem erinnerungs- und gedächtniskulturellen Bereich, weil er den slowenischen Partisanenkampf noch einmal als Erinnerungsort aktualisiert – auch wenn er es auf höchst ungewöhnliche Weise tut. Er versorgt uns neben allen unbestreitbaren literarischen Qualitäten, die das Buch hat, mit Informationen, die durchaus als Anhaltspunkte für eine weitergehende Beschäftigung mit dieser Zeit dienen können. Darum ist der Band mit seinem umfangreichen Anmerkungsapparat (zu Begrifflichkeiten, historischen Fakten, kulturspezifischen Realien) auch bewusst informativ gestaltet, und ich denke tatsächlich, dass er für HistorikerInnen und KulturwissenschaftlerInnen, die bislang von Zupan nichts wussten, von Interesse ist. Könnte ja sein, dass in Zukunft auch das Menuett genannt wird, wann immer von der Repräsentation des jugoslawischen Partisanenkampfes in der Literatur die Rede ist. So wie auch die Literatur eines Ivan Cankar in die kulturwissenschaftliche Forschung ab den 1990er Jahren über Wien und die Habsburgermonarchie integriert wurde, sowie Übersetzungen seiner Texte in größerer Zahl verfügbar waren. Wenn heute über Ottakring zur Zeit des Fin de Siècle die Rede ist, wird Cankar oft mitgenannt, bisweilen sogar als einer der bedeutendsten Zeugen dieser Zeit, die einen „anderen“ Blick auf die Metropole hatten, der nicht vom großbürgerlichen Zentrum sondern von der proletarischen Peripherie her kommt und unser Wissen über die eigene Geschichte bereichert. Ich schätze, einen Autor universalen Zuschnitts wie Zupan zu lesen, bringt uns etwas Ähnliches, weil der Partisanenkrieg, so wie er ihn beschreibt, uns alle angeht, nicht nur eine Handvoll Spezialisten.

 

Buchinformation:

Vitomil Zupan: Menuett für Gitarre (zu 25 Schuss). Aus dem Slowenischen von Erwin Köstler. Berlin: Guggolz Verlag 2021.

 

Das Buch stand im Mai 2021 auf der SWR-Bestenliste und war Ö1 Buch des Monats. Im Rahmen des Projekts TRADUKI wurde es am 29.11.2021 im Literaturhaus Wien präsentiert, an diese von Nadja Grössing organisierte Veranstaltung anknüpfend entstand dieses Gespräch.