EM: Die Kurzgeschichte „Leichenfresser“, eine satirische Groteske, für die du den „Newcomer“-Literaturpreis der Stadt Klagenfurt gewonnen hast, und die deinen Sammelband von Kurzgeschichten einleitet, zeigt, wie souverän du komische Stilmittel beherrscht, und dass du auch keine Angst vor inhaltlichen Tabubrüchen und thematischer Drastik hast. Gleichzeitig inszenierst du wie nebenbei alte Konflikte: Zweisprachigkeit, Spaltung, Diskriminierung. Nicht gerade einfach, auch aus kompositorischer Sicht. Wie entstand diese Geschichte?
Die Geschichte begann in einem Verlesen meinerseits. Nikolaus Habjan inszenierte damals das Stück „Der Leichenverbrenner“ im Burgtheater, aber müde vom Semesterbeginn, meinte ich voller Überzeugung „Der Leichenfresser“ gelesen zu haben. Als man mich korrigierte, fand ich die verquere Version dann doch spannender. Innerhalb meiner akademischen Arbeit habe ich mich intensiv mit transgenerationaler Traumaweitergabe in Folge des Holocausts beschäftigt. Diese fokussiert vor allem auf Familien von Überlebenden und Ermordeten. Doch auch in Täter:innenfamilien hinterließ die NS-Zeit ihre Spuren. (Ehemalige) Nazionalsozialist:innen errichteten fallweise ein häusliches Regime, unter welchem Kinder und Enkel:innen litten und geformt wurden. Generell ist die Weitergabe rechtsextremen Gedankenguts ein Hauptproblem Österreichs. In Kärnten/Koroška hat sie jedoch auch die zusätzliche Facette des Antislowenismus inne. Es hat mich interessiert, in diese stark umzäunte Welt eines familiären Fanatismus einzudringen und zu sehen, wie sehr sich das Ganze zuspitzen lässt. Die Geschichte ist eine Groteske, eine Cousine des B-Movie-Horrorfilms und des österreichischen Satireprogramms der 2000-Jahre. Hier wird über dem Tisch in Extremen gehandelt. Trotz alledem denke ich, dass die Stärke der Erzählung darin liegt, dass sie dennoch schält und etwas Unbequem-Ehrliches zum Vorschein bringt. Man kennt diese Figuren, man kennt dieses Verhalten. Leichenfresserfutter ist in Kärnten/Koroška Menü 1.
EM: Mich beeindruckt, wie du Sprache zugleich als politisches Instrument aber immer zugleich auch als Medium künstlerischer Welterfahrung nutzt. In der Kurzgeschichte „Marlene“, die sprachlich dicht und mitreißend ist, zeigst du auch das Puppentheater als subversive Kunstform. Du hast gemeinsam mit Julija Urban ein Puppentheaterstück verfasst und auch Regie dazu geführt: Der Peršmanproces. Was fasziniert dich am Puppentheater, welche politische Rolle spielte es in deinem Leben?
Das Puppentheater agiert im Modus der Grenzüberschreitung. Im Puppentheater ist man an keine Regeln gebunden – keine gesellschaftlichen, keine moralischen, keine physikalischen. Die Puppe kann sterben und wiederauferstehen, die Puppe kann wahrlich töten, die Puppe kann körperliche Metamorphosen durchführen. (Vom Burgtheater ist das noch keinem:keiner gelungen!) Das zeitgenössische Figurentheater hat uns außerdem die Material- und Objektpuppen gebracht, das Theater der Dinge und wahrhaftige Cyborgs. Es ist eine Welt des Animismus. Hier ist eine Figur in ihre Rolle geboren, sie hat keine zweite Identität. Was Brecht im epischen/dialogischen Theater mit seinem Verfremdungseffekt zeigte, ist für die Puppe unmöglich und auch unnütz. Sehe ich Rodrick durch sein schummriges Familienhaus wanken, ist es Rodrick und kein Schauspieler, der sich in ihm verkriecht. (Ein bisschen polemisieren muss man.)
Für mich ist Puppentheater inhärent politisch. Die Figurentheatertradition in Kärnten/Koroška ist stark von der Minderheit geprägt. Innerhalb der Strukturen der slowenischen Volksgruppe war das Puppentheater von Anfang an auch dem Spracherhalt und der -weitergabe gewidmet. Bis heute ist das Slowenischsprechen ein politischer Akt – eine widerständige Positionseinnahme. (Schon Andrej Kokot sagte: „Moje življenje je upor, še moja smrt je upor«.)
Diese Ausgangslage steigern wir bei unserer Arbeit, indem wir uns den Themen und Problematiken unserer Minderheit widmet. Es sind Dinge, die uns nicht loslassen, basale menschliche Kämpfe, die durch die Position der marginalisierten Gruppe spezifiziert werden. Grund dessen ist bestimmt auch ein starker Fall von »Ethnostresses« (nach Peterllini), der sich in einer insistente Stimme, die sagt: »Wenn nicht wir, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann dann?« manifestiert. Unangenehm ist hierbei vor allem, dass die Minderheitenanxiety ziemlich berechtigt ist. Das hat sich auch am Stück »Peršmanproces« wieder gezeigt. Unsere Gruppe bestand aus Spieler:innen zwischen 15 und 20 Jahren und nur eine Person wusste über das Massaker am Peršmanhof Bescheid. Alle hatten das Slowenische Gymnasium besucht. Es ist essenziell für Minderheitenangehörige Wissen über die Geschichte und die politisch-gesellschaftliche Situation der eigenen Community zu verfügen. Sonst bleibt man auf dem Gefühl der prekären Lage innerhalb eines Mehrheitsraumes sitzen, ohne überhaupt den Grund der Emotion benennen, geschweige denn sich kritisch bzw. konstruktiv mit der eigenen Identität auseinandersetzen zu können.
EM: Mich hat die in den Texten, die ja auf Deutsch verfasst sind, die äußerst klug mit-inszenierte Zweisprachigkeit fasziniert. Nun folgt also die obligatorische Frage, die im Kärntner slowenischen Kontext nun mal kommen muss. Die Wahl der Sprache ist immer, nicht nur für die älteren Generationen, eine sehr politisierte und vieldiskutierte Frage: Wie hältst du es mit der Zweisprachigkeit beim Schreiben, beim Denken, beim Arbeiten? Zwang, Freiheit, Lust?
Das Slowenische ist meine Mutter- und Vaterssprache und zweigt sich noch in die zwei Idiome, die wir zuhause Sprechen. Mein ganzes politisches und der Großteil meines öffentlichen Arbeitens findet in dieser Sprache statt. Es ist meine Sprache der direkten Rede – meine Interviews, Reden, Dramen spielen sich alle im Slowenischen ab. Das bringt viel Überwindung mit sich. Wie viele Kärntner Slowen:innen habe ich so etwas wie einen Minderwertigkeitskomplex in Bezug auf meine Sprachkenntnisse. Das Schlagwort „jezikovna kompetenca“ ist mir ein Gräuel. Als Kärntner Slowen:in kann man nie gut genug Slowenisch können. Strukturell wird es einem aber unmöglich gemacht, die Sprache im gleichen Maße wie Deutsch zu erlernen. Die Idiome werden meist als störender Faktor anstelle eigenständiger Sprachvariationen mit gültigen Regeln gesehen. Freund:innen träumen davon in Ljubljana „richtig“ Slowenisch zu lernen – doch dann kommst du mit den langen „a“-s der Ljubljančan:ke nachhause und irgendwie ist das der Sprachpolizei dann auch nicht recht.
Mit dem Deutschen verbindet mich eine vielschichtige Beziehung und das ist interessant. Es ist die Sprache der Institutionen, der Geschichtsschreibung, der Macht. Es war die Sprache der Täter:innen. Andererseits ist es die Sprache der meisten Literatur, die ich gelesen habe, aktueller gesellschaftspolitischer Diskurse, Wien/Dunaj-s. Eine Kunst- und Koffersprache, die mir formell sehr zusagt. Es ist spannend im Deutschen zu schreiben, weil es sich durch die ganzen literarischen, gesellschaftlichen, geschichtlichen Einschreibungen wie eine Zwiebel aufblättern lässt.
Doch jetzt mit den Jahren erlaube ich mir immer mehr Freiheiten innerhalb meiner Mehrsprachigkeit. Sprache ist dynamisch. Es heißt den Purismus abzustreifen und sich der sprachlichen Realität zu nähern. In meinen Freund:innenkreis sprechen wir alle einen Soziolekt, der sich aus Slowenisch, Deutsch, Englisch, Idiomen, Internetspeak, Szenensprache, Kärnten III-Referenzen und gruppeinternen Begriffen destilliert. In letzter Zeit bewegt sich auch mein Schreiben (solange es der Geschichte zusagt) sprachlich in diese Chimärenwelt.
EM: In einigen deiner Geschichten gibt es Anklänge oder Anleihen aus der Phantastik oder Mystik. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, gerade die Magie und auch das Unheimliche des Puppentheaters, des Theaters überhaupt, liegt in vielen schrägen, überraschenden Momenten nahezu jeder Geschichte zu Grunde, oder überzuckert sie wie Feenstaub…
Ich habe eine Schwäche für das Magische. Wahrscheinlich hat das Puppentheater hierzu das Seine getan. Erlebt man, wie Metaphern Eigenleben annehmen, so prägt das den Menschen. Das Surrealistische und Übersteigerte hat es mir schon immer angetan, eine Obsession mit Kafka, Lynch und Švankmajer war die Folge. Eine Bachelorarbeit lang bin ich durch alle Werke Becketts gekrochen. Die Literatur ist ein in Symbiose mit dem Geist sich expandierender Raum – Wände zimmert man selbst. Doch oft ist das Spannendste, was sich hinter den Mauern verbirgt, an die man sich anlehnt.
Auch die Titel deiner Kurzgeschichten wirken für mich häufig programmatisch: das Politisch-Historische, das Magische, das Sprachexperimentelle werden sich in wenigen Worten eingefangen. Gibt es Geschichten und Überlegungen dazu?
Ein Titel ist immer ein Festschreiben und damit verdammt schwierig zu bestimmen. Ich bin der Überzeugung das jede Leseart einer Geschichte berechtigt ist. Persönliche Interpretationen sind absolut valide, auch wenn sie dem Ursprungsgedanken des:der Autor:in widersprechen. Wir lesen aus unseren Positionen heraus und bereichern die Geschichten mit unserer Perspektive. Meine Titel sind Vorschläge für Leseweisen, die angenommen oder abgelehnt werden können.
Der Titel des Geschichtenbandes ist mir bei einem Zahnarztbesuch gekommen. In schweißtreibender Arbeit hat man mir den dritten Weisheitszahn aus dem Kiefer gezerrt und ich habe mir gedacht „Šit, dieses Wurzelreißen tut echt weh.“ Der doppelte Boden hat mich dann schnell verschluckt.
Gibt es eine Gründungs- oder Entstehungsgeschichte zum Buch, die du mit uns teilen würdest?
Das Buch ist eigentlich nicht als Buch konzipiert gewesen. Anfang der 2020er Jahre hat mich eine ziemliche Schreibmanie befallen. Ich habe mein ganzes künstlerisches Arbeiten in diese Richtung verlegt und innerhalb und außerhalb der universitären Zeiten geschrieben. Das heißt, dass ich letzten Endes Schubladen voller Papiere hatte und keine Ahnung wohin mit diesen. Ich habe dann eine Geschichte beim KSV-Wettbewerb eingereicht, mehr zum Spaß und mit der vagen Vermutung, jemand würde mir eine Beschwerde zurücksenden. Als ich den Newcomer:innen-preis gewann, war das sehr motivierend. Die Erfahrung vor Publikum die eigene Geschichte zu lesen, hat mir die Option des Schriftsteller:innenseins erst richtig eröffnet. Später bin ich dann in Kontakt mit der Mohorjeva/Hermagoras getreten und sie waren verrückt genug, meine Erzählungen zu veröffentlichen.
Und woran arbeitest du gerade?
Aktuell schreibe ich an einem längeren Text, der vielleicht einmal ein Roman wird. Es soll eine generationsübergreifende Erzählung werden, welche sich auf die verwobenen Leben dreier Kärntner Sloweninnen fokussiert und Minderheitengeschichte in Österreich auslotet. Des Weiteren schreibe ich an einer Groteske mit dem Titel „Das Ei“. Dazu soll man sich denken, was man möchte. Sonst arbeiten Julija Urban und ich gerade mit der Gruppe Lutke Mladje KDZ am Stück „Frankenštajn“, welches heuer Premiere feiern soll und treten mit der KlubLutke-Formation „Bad Gurlz of Puppetry“ mit dem Stück „Predsednice“ von Werner Schwab auf.
Die Fragen stellte Elena Messner der Autorin im Oktober 2022.