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Eine poetologische Annäherung an Alma Lazarevska

„Literatur ist eine Zusammensetzung aus Mühe und Hunger“

von Barbara Natter

Diese Annäherung an Texte bzw. Textauszüge der bosnischen Autorin Alma Lazarevska basiert auf einem persönlichen Gespräch, das am 30.03.09 an der Universität Innsbruck in überwiegend englischer Sprache stattgefunden hat. Das Gespräch wurde mit der Frage danach eröffnet, inwiefern ihre Erzählungen fiktiv oder autobiographisch seien, worauf die Autorin nur streng zu antworten wusste:
 
Ich bin nicht nur da gesessen und habe die Geschichten geschrieben, es ist unwichtig, ob ich damals einen Ehemann oder ein Kind gehabt habe, es ist für das Werk irrelevant. [...] Die Frage war, einen Protagonisten zu töten, oder nicht zu töten, ich habe nächtelang darüber nachgedacht, aber ich kam zu dem Entschluss, ihn nicht zu töten.
 
Dass die Autorin Figuren „töten“ muss, darf als zwangsläufig betrachtet werden, wenn man die zentrale Thematik vieler ihrer Texte betrachtet: der Bosnienkrieg, bzw. die Belagerung der Stadt Sarajevo. Konkrete Themen sind das „Eingekesseltsein“ in der Stadt Sarajevo, Leiden, Ängste und Hoffnungen von Einzelnen, das Aläglichen Lebens in der belagerten Stadt heran. Die Wirkung ist nicht vergleichbar: ist es eine unmittelbarere Lesererfahrung, Kriegsgeschehen, Blut, Granaten zu erspüren, oder sich mitten im Alltagsleben der Menschen im Zentrum des Krieges wiederzufinden, psychisches, inneres Grauen zu erlesen und zu erleben?  
 
Im Zeichen der Rose
 
"Im Zeichen der Rose" (in deutscher Übersetzung 2002 beim Drava Verlag erschienen) ist ein Roman, in dem eine Art Autobiographie Rosa Luxemburgs inszeniert wird – jener realen, historischen Persönlichkeit, die Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands war. Mehrere Jahre ihres Lebens werden skizziert, auch beschreibt Alma Lazarevska den Aufbruch eines Protagonisten, der von Mostar nach Wien reiste. Aber wieso überhaupt interessiert sich Lazarevska für eine Rosa Luxemburg, in Sarajevo 1993?


Die Autorin erklärt hierzu, dass sie beide im Zeichen des Fisches geboren seien. Das seien frivole Details, bemerkt sie verschmitzt, auch sei die Anzahl der Buchstaben in beiden Namen identisch. Es sei ein ironisches Spiel, warum sie sich mit Rosa Luxemburg beschäftigt hat, Rosa Luxemburg sei ja eine Aktivistin, während sie ohne Möglichkeit auf Aktivität im eingekesselten Sarajewo gefangen sei.

Die Handlung des Romans findet auf unterschiedlichen Zeitebenen statt, verwebt werden die Geschichten dreier Generationen: die der Rosa Luxemburg, die des Aleksa S. und die des Zen, in Berlin, Mostar, Prag und Sarajevo des 20. Jahrhunderts. Aleksa reist von Mostar nach Wien, wo er Rosas Leiche aus einem Kanal birgt. Zens Leben spielt sich in 4 verschiedenen Städten ab, zwischen denen er hin und her reist, auf der Suche nach den Spuren seines Großvaters.


Der Roman weist keinen chronologischen Aufbau auf, Sprünge zwischen verschiedenen zeitlichen und räumlichen Ebenen häufen sich, verschiedene Perspektiven und die Unterteilung in kurze Kapitel sind zu erkennen. Diese Aspekte lassen den Lesevorgang und die „korrekte“ chronologische Einordnung der Ereignisse schwierig erscheinen und verursachen ein Chaos nicht nur in Chronologie der Handlung, oder Konstellation der Figuren im Roman, sondern auch im Bewusstsein des Lesers. Der Roman ist nicht sehr einfach zu lesen, er ist detailreich, entzieht sich dem vordergründig Verständlichen.


Auch diese Geschichte hat eine Vorgeschichte, wie Alma Lazarevska bemerkt. Nicht nur, wie bereits erwähnt, dass sie die Hauptprotagonistin aufgrund eines Zufalls oder einer Koinzidenz ausgewählt hat, sondern auch ihren (realen) Ehemann verbindet etwas damit.  Im Krieg, als es an allem mangelte, habe ihr Ehemann, der als Journalist arbeitet, so Lazarevska, einen Zeitungsartikel nachhause gebracht, in dem eine Fotographie von Mostar aus dem Jahr 1929 veröffentlicht war. Und dieses Sujet vermögen aufmerksame Leser auch in ihren Texten wiederzufinden.  
 
Etwas Unerklärliches ist im Spiel, merkt sie mit einem Augenzwinkern an und verrät zu ihrem Konstruktionsprinzip der Verrätselung außerdem, dass sie diese vielen gelben Zettel besitze... Alles ist eine Unordnung und irgendwann passiertes, dass es zusammenkommt – so auch in ihrem Roman Im Zeichen der Rose.  
 
Dafna Pechvogel überquert die Brücke zwischen hier und dort
 
Die Erzählung Dafna Pechvogel überquert die Brücke zwischen hier und dort ist die erste des Sammelbandes Smrt u muzeju moderne umjetnosti und ist in der Anthologie Das Kind. Die Frau. Der Soldat. Die Stadt 1999 im Drava Verlag in Klagenfurt erschienen.

 

Sie erzählt die Geschichte der alten Frau Dafna, die von ihrer Familie im Krieg durch eine Brücke, zwischen der belagerten und der besetzten Seite getrennt ist. Nach langem Hin- und Her findet sich endlich ein Weg, wie sie auf die andere Seite gelangen kann. Da Dafna schon immer ein Pechvogel war, passiert ihr nun auch hier ein ziemlich seltsames Missgeschick: Sie möchte dem Soldaten, der sie über die Brücke begleitet hat, danken, indem sie ihm zuwinkt. Dieser jedoch missversteht die nette Geste und erschießt Dafna im Zorn. So stirbt sie mitten auf der Brücke, auf dem Weg zu ihrer Familie.  Sowohl das Leben als auch der Tod scheinen dem gleichen „Gesetz“ zu folgen – nämlich dem des Zufalls. Hätte sich Dafna aufgrund einer Ungeschicklichkeit nicht den Ringfinger der linken Hand beim Kaffeemahlen abgeschnitten, hätte der Soldat das Winken nicht als obszöne Geste betrachtet und sie wäre noch am Leben.

 

Mit ihrem Tod wird nicht, wie in vielen anderen „Kriegsgeschichten“ jemand dadurch heldenhaft gerettet, sondern es wird aufgezeigt, dass es jeden treffen kann – egal ob jung, alt, hässlich, schön, groß, klein- diese Merkmale sind in einem Krieg unwichtig. Auch der biographische Hintergrund einer jeden Person wird in den Schatten gestellt. Der Tod lauert hinter jeder Ecke und kann auch durch schreckliche Zufälle geweckt werden. Ein weiteres Merkmal der Geschichte ist die Bedeutung kreierende Namensgebung. Die Protagonistin Dafna wird am Ende der Erzählung, nach ihrem Tod, in der Sterbeanzeige als „Danfa“ eingetragen. Auf die konkrete Frage nach einem Warum, antwortet Alma Lazarevska:
 
Ein Beispiel aus dem Leben: In den Ämtern passiert oft der Fehler, dass mein Familienname falsch geschrieben wird, nicht Lazarevska, sondern Lazarević - ein schreckliches administratives Problem. Dafna ist ein Name aus der griechischen Mythologie, ein ungewöhnlicher Name. Ihr Großvater bestimmte, dass jedes Neugeborene einen Namen bekommt, der mit „f“ beginnt: „Nomen est omen“.
 
„Nomen est omen“- dies trifft geradewegs auf Dafna zu, wird sie doch „Pechvogel“ genannt. Nicht zuletzt bezeugt die Bedachtheit bei der Namensgebung, welchen Stellenwort für Alma Lazarevska das Wort, die Sprache, das präzise Benennen einnehmen:
 
Für die montenegrinische Tradition etwa ist es sehr wichtig, was für einen Namen man dem Kind gibt und das wird einen durch das Leben auch begleiten. Das Wort ist sehr wichtig, und das Wort ist auch das, was uns unterscheidet.
 

 

Das Interview wurde geführt in Innsbruck im April 2009.