Sie haben sich in Ihrem Romandebut dem Thema der
Flüchtlingsarbeit bzw.
der Asylpolitik in Österreich angenommen, Fragen nach der Abschiebungs-
und Unterbringungspolitik stehen im Vordergrund. Ein Thema, das in der
österreichischen Gegenwartsliteratur kaum bearbeitet wurde.
Obwohl die konkreten Ereignisse, die Sie beschreiben, schon etwas zurückliegen,
bleiben diese ja, was gerade im Sommer 2015 wieder deutlich wurde, permanent aktuell, oder werden sogar noch dringlicher.
Ihr Roman sticht vor allem durch eine sehr differenzierte Herangehensweise an ein komplexes Thema hervor. Was veranlasste Sie, neben Ihrer Tätigkeit als Rechtsberater von
Flüchtlingen, zur Themenwahl und
v.a. dazu, das Thema auf Ihre Weise anzugehen?
Es ist das Dilemma des Schreibenden, das er den Drang hat, alles Erlebte in eine literarische Form zu gießen. Im Laufe der acht Jahre, die ich in der Rechtsberatung tätig bin, sammeln sich
automatisch viele Geschichten an, viele Erfahrungen, viele Schicksale, die über den Schreibtisch gehen, die auf den immer gleichen Sesseln sitzen. Irgendwann habe ich dann begonnen, mir kleine
literarische Skizzen zu machen, unter den UNHCR-Plakaten in den Wartezimmern des Bundesasylamts, vor den Einvernahmen, oder in den Verhandlungspausen in den weißen Sälen des Asylgerichtshofes:
kleine Szenen, Figuren oder atmosphärische Beobachtungen. Daraus ist dann der Wunsch entstanden, all diese Versatzstücke zu einem Roman zusammenzufügen. Ich habe zunächst mit der Figur des Nejat
herumexperimentiert, wollte einen Roman aus seiner Sicht schreiben, über seinen Werdegang, bis ich darauf gekommen bin, dass ich mich da zu weit in unvertraute Gebiete vorwage und die Figur für
einen ganzen Roman zu exotisch ist. Dann bin ich, auf der Suche nach den größtmöglichen Gegenpolen - die ja auch den interessantesten Konflikt versprechen - auf Ludwig Blum gekommen, dessen Welt
und innere Natur mir durch meine Arbeitserfahrungen sehr vertraut war, und der Verlauf des Romans war dann auch die Konsequenz der Figurenwahl.
Zu meiner Tätigkeit als Rechtsberater war das Schreiben insofern eine wunderbare Ergänzung, als es mir erlaubt hat, von der alltäglichen Mikroebene wegzugehen und die Thematik mit der Freiheit zu
betrachten und zu durchforsten, die das Fiktionale verleiht. Das Hintergründige, die Tiefe des Themas, die Zwiespältigkeit - das berührt man als Rechtsberater wenig, da kümmert man sich wenig um
die Grauschattierungen des Themas, hat auch keine Zeit dafür. Das Schreiben war somit auch ein Tauchen in die Tiefe der Thematik.
Literarisch ist ihr Roman insofern sehr interessant, als Sie einerseits den Lesenden erlauben, Innenansichten in viele, teils ambivalent gezeichnete Figuren zu haben, und
andererseits eine gewisse Nüchternheit und Distanzierung durch die Erzählerstimme erzeugen. So entsteht beim Lesen eine Art moralisch-politischer Raum, in dem wir die
Motivation und Psychologie von Beteiligten aber auch strukturelle Probleme und politische Fragen gleichzeitig präsentiert bekommen. Die Frage der Verantwortung
bzw. Verantwortlichkeit wird dadurch auf den Leser und die Leserin verschoben, was eine enorme Stärke des Buches ist. Wie sehen Sie dieses Verhältnis
von reflektierender Distanzierung und starker Emotionalisierung in Ihrem Text?