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Lesen und Schreiben wider die Angst           Ein Gespräch mit Daniel Zipfel

Daniel Zipfel, geboren 1983 in Freiburg im Breisgau, lebt und arbeitet in Wien als Autor und Jurist in der Asylrechtsberatung. Elena Messner hat ihn zu seinem ersten Roman befragt.

 

Sie haben sich in Ihrem Romandebut dem Thema der Flüchtlingsarbeit bzw.

der Asylpolitik in Österreich angenommen, Fragen nach der Abschiebungs-
und Unterbringungspolitik stehen im Vordergrund. Ein Thema, das in der
österreichischen Gegenwartsliteratur kaum bearbeitet wurde.

Obwohl die konkreten Ereignisse, die Sie beschreiben, schon etwas zurückliegen,
bleiben diese ja, was gerade im Sommer 2015 wieder deutlich wurde, permanent aktuell, oder werden sogar noch dringlicher.

Ihr Roman sticht vor allem durch eine sehr differenzierte Herangehensweise an ein komplexes Thema hervor. Was veranlasste Sie, neben Ihrer Tätigkeit als Rechtsberater von Flüchtlingen, zur Themenwahl und
v.a. dazu, das Thema auf Ihre Weise anzugehen? 


 
Es ist das Dilemma des Schreibenden, das er den Drang hat, alles Erlebte in eine literarische Form zu gießen. Im Laufe der acht Jahre, die ich in der Rechtsberatung tätig bin, sammeln sich automatisch viele Geschichten an, viele Erfahrungen, viele Schicksale, die über den Schreibtisch gehen, die auf den immer gleichen Sesseln sitzen. Irgendwann habe ich dann begonnen, mir kleine literarische Skizzen zu machen, unter den UNHCR-Plakaten in den Wartezimmern des Bundesasylamts, vor den Einvernahmen, oder in den Verhandlungspausen in den weißen Sälen des Asylgerichtshofes: kleine Szenen, Figuren oder atmosphärische Beobachtungen. Daraus ist dann der Wunsch entstanden, all diese Versatzstücke zu einem Roman zusammenzufügen. Ich habe zunächst mit der Figur des Nejat herumexperimentiert, wollte einen Roman aus seiner Sicht schreiben, über seinen Werdegang, bis ich darauf gekommen bin, dass ich mich da zu weit in unvertraute Gebiete vorwage und die Figur für einen ganzen Roman zu exotisch ist. Dann bin ich, auf der Suche nach den größtmöglichen Gegenpolen - die ja auch den interessantesten Konflikt versprechen - auf Ludwig Blum gekommen, dessen Welt und innere Natur mir durch meine Arbeitserfahrungen sehr vertraut war, und der Verlauf des Romans war dann auch die Konsequenz der Figurenwahl.
 
Zu meiner Tätigkeit als Rechtsberater war das Schreiben insofern eine wunderbare Ergänzung, als es mir erlaubt hat, von der alltäglichen Mikroebene wegzugehen und die Thematik mit der Freiheit zu betrachten und zu durchforsten, die das Fiktionale verleiht. Das Hintergründige, die Tiefe des Themas, die Zwiespältigkeit - das berührt man als Rechtsberater wenig, da kümmert man sich wenig um die Grauschattierungen des Themas, hat auch keine Zeit dafür. Das Schreiben war somit auch ein Tauchen in die Tiefe der Thematik.


Literarisch ist ihr Roman insofern sehr interessant, als Sie einerseits den Lesenden erlauben, Innenansichten in viele, teils ambivalent gezeichnete Figuren zu haben, und andererseits eine gewisse Nüchternheit und Distanzierung durch die Erzählerstimme erzeugen. So entsteht beim Lesen eine Art moralisch-politischer Raum, in dem wir die Motivation und Psychologie von Beteiligten aber auch strukturelle Probleme und politische Fragen gleichzeitig präsentiert bekommen. Die Frage der Verantwortung bzw. Verantwortlichkeit wird dadurch auf den Leser und die Leserin verschoben, was eine enorme Stärke des Buches ist. Wie sehen Sie dieses Verhältnis von reflektierender Distanzierung und starker Emotionalisierung in Ihrem Text?
(c) Manfred Weis
(c) Manfred Weis
 
Ich habe für den Roman bewusst eine sehr nüchterne Sprache gewählt, die sich stark an der juristischen Sprache orientiert. Zum Einen trägt das zur Atmosphäre bei, vor allem aber wird dadurch, dass man an emotionalisierte und existenzielle Fragestellungen mit kühlen Begriffen herangeht, die gängige Moralisierung des Themas vermieden. Diese Abwesenheit von Moral (auch typisch für die juristische Sprache) soll einen ungewohnten Effekt auf den Leser haben: Weder Blum noch Nejat sind moralisch handelnde Figuren. Für Blum ist Moral keine Kategorie, er denkt nur im Maßstab seiner Ordnungsvorstellung, und bei Nejat wird der Moralbegriff, den er selbst immer als "Menschlichkeit" vor sich herträgt, zu einer leeren Hülle und zu einem Feigenblatt für einen zynischen Opportunismus. Dadurch wollte ich eben diesen Grauschattierungen, die in der medialen Debatte kaum vorkommen, das Thema aber prägen, gerecht werden und sie dem Leser vermitteln. Dabei war es mir auch wichtig, jede der Figuren zu brechen, sie alle differenziert zu gestalten: Der Schlepper mit sympathischen Zügen, der syrische Flüchtling mit den dunklen Flecken in seiner Vergangenheit, der wohlwollende Fremdenpolizist - durch die Differenzierung sollte ein hoher Grad an Realismus erreicht werden.

Schreibt man zu komplexen Themen stellt sich die Frage der Vermittelbarkeit. Sie
mischen ihrem Roman Elemente des Politkrimis bei, was für Spannung in der
Handlung sorgt. Sie mengen dem Text aber auch literarische Verweise und viele
historisch-politische Informationen bei, die die Handlungsebene immer
wieder auf eine abstraktere, politisch-philosophische Ebene heben. Auch
darin ist ihr Roman durchaus außergewöhnlich: er ist sehr kommunikativ,
und zugleich eine sehr intellektuelle Auseinandersetzung mit dem
Thema.
 
Spannung ist für mich ein ganz wesentlicher Aspekt. Ich denke, es ist eine Stärke von Literatur, auch unterhalten zu wollen, das Thema und die Sichtweisen der Figuren dem Leser als Geschichte nahe zu bringen, nicht als faktenbasierter Text. Narration will den Leser hineinziehen in eine fremde Lebenswelt, und dafür sind die erzählerischen Werkzeuge notwendig. Der Leser wiederum kann sich in der fiktiven Realität einer Erzählung frei bewegen, sich seine eigene Meinung zu den Figuren und den Umständen bilden, viel freier, als er es etwa bei einem journalistischen Text könnte. Hinzu kommt, dass ein hoher Grad an Spannung oder die von Ihnen erwähnten Krimi-Elemente den Roman leichter, für viele Leser trotz des schweren Themas lesbarer machen.


Woran arbeiten Sie literarisch gerade?
 
An Konzepten für einen zweiten Roman, mit denen ich in Ermangelung von Zeit kaum weiterkomme. Um die Wahrnehmung des Flüchtlings soll es gehen, um seine Rolle als politisches Subjekt, aber ich muss mich diesbezüglich leider in Vagheiten hüllen, um die Idee zu schützen. So eine Idee ist zu Beginn immer ein zartes Pflänzchen, das man nicht zu früh ins Tageslicht stellen darf.


Wie erleben Sie die Rezeption Ihres Romans?
 
Für einen Debütroman bin ich überwältigt über das Interesse und freue mich sehr über die positive Resonanz. Dabei ist die Tagesaktualität, die dem Buch zugute kommt, natürlich eine schwarze Ironie, weil es erschreckend ist, wenn man Szenen aus dem Buch auf einmal als Ereignisse in den Nachrichten liest. Aber gerade angesichts der momentanen Debatte, in der mittlerweile das Angstdenken eine sehr starke und fatale Rolle spielt, sehe ich den Roman und auch meine Lesungen als persönliche Begegnung des Publikums mit der Thematik und ja, auch als ein Lesen wider die Angst.


01.12.2015